Militär-Mode: Unheimlich schön
Kampfkluft oder Luxuslabel? Der Bildband „Fashion Army“ zeigt Arbeitskleidung des US-Militärs.
Das ist Helmut Lang“, sagt Matthieu Nicol und deutet auf das Foto, das vorn auf seinem Buch „Fashion Army“ zu sehen ist. Der junge Mann, der darauf abgebildet ist und frontal in die Kamera blickt, trägt über einem weißen T-Shirt eine weiße wattierte Weste, die in einer Art Schurz endet. Man könnte glauben, das Outfit stamme von dem österreichischen Designer, einem Pionier der minimalistischen, von Uniformen inspirierten Mode – stimmt aber nicht. Vielmehr handelt es sich um den Teil einer Uniform des US-Militärs, das Foto wiederum gehört zu einem Konvolut an Abbildungen von Armeekleidungsstücken, aus denen Nicol seine „Fashion Army“ zusammengestellt hat.
Matthieu Nicol entdeckte die Fotos mehr oder weniger zufällig bei einer Recherche. Er arbeitet in Paris als Bildredakteur und sammelt und erforscht Gebrauchsfotografien, vor allem solche, die mit Essen und Trinken zu tun haben. In seinem vorherigen Projekt etwa hat er sich mit amerikanischem Militär-Junkfood beschäftigt. Online stieß er irgendwann auf eine Datenbank des Natick Soldiers System Center, ein Archiv des US-Militärs, das die Arbeitskleidung von Soldat*innen zeigt. Schier endlose Abbildungen fanden sich da, 14.134 Scans insgesamt, frei verfügbar, ohne urheberrechtliche Einschränkungen. Prototypen von Uniformen zeigen sie, und technische Ausrüstungen. „Ich fand sie fantastisch und schön“, sagt Nicol im Zoom-Interview mit der taz, „gleichzeitig haben sie etwas Unheimliches. Was darauf zu sehen ist, wurde schließlich vom US-Militär produziert und für das Töten designt.“
Lange habe er gebraucht, sich durchzuarbeiten. Zunächst traf er eine Auswahl von etwa 2.500 Bildern, aus denen er wiederum eine Ausstellung – im Sommer war sie beim Fotofestival „Les Rencontres d’Arles“ zu sehen – und dann das Buch extrahierte.
Hintergrundinformationen zu den einzelnen Bildern und Uniformen bekam er auch auf Anfrage nicht heraus, nur die Metadaten, den Zeitpunkt der Aufnahmen (von den späten 1960ern bis 1994), ein paar technische Abkürzungen gaben Anhaltspunkte. Also konzentrierte Nicol sich auf die Bilder selbst, vor allem die, auf denen Menschen zu sehen sind. Er kann nicht mit Sicherheit sagen, wer sie sind – ihren teils unbeholfenen Posen nach zu urteilen, könnten es sowohl Soldat*innen sein als auch einfache Angestellte des Centers, vermutet Nicol.
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Wobei genau das die Bilder so aktuell wirken lässt – Models bei Marken wie Acne, Maison Margiela oder Balenciaga sehen heute oft genau so aus, Juergen-Teller-haft unperfekt. Die Kleidungsstücke tun ein Übriges: Camouflage und Cargohosen. Gestepptes und Wattiertes. Derbe Materialien, die den Körper wie einen Kokon umgeben. Radikal funktionalisierte Teile. „Gorpcore“ nannte man 2017 den Trend, Funktionskleidung, die einen vor Wind und Wetter schützen soll, im Alltag zu tragen. Gorp steht dabei für „Good old raisins and peanuts“, also Studentenfutter, das man ja oft beim Wandern als Snack dabeihat. Mit den Codes der Mode spielt Matthieu Nicol sehr bewusst. Wie ein Lookbook eines Modehauses wirkt „Fashion Army“ auf den ersten Blick.
Herausfordern und Diskussionen und Reflexion anregen möchte Nicol auf diese Weise. „Eine der größten Aufgaben, die sich mir bei der Bearbeitung dieser Bilder stellte, war die Verantwortung, die ich als Redakteur habe“, sagt er. „Diese Bilder sind nicht unschuldig, aber gleichzeitig wirken sie wie Simulakren, es gibt eine Distanz.“ Allein zeitlich. Entstanden sind die Fotos nach dem Trauma des Vietnamkriegs, während des Kalten Kriegs und des zweiten Golfkriegs, in einer Zeit, als die USA zur einzigen Supermacht wurden, als die Rolle der Technologie wuchs, bis hin zum Konzept eines vermeintlich „sauberen Krieges“. Die Gewalt steckt in den Details, hinter dem, was uns modisch erscheint. Er habe die Bilder auch Freund*innen aus dem Irak gezeigt, erzählt Nicol. Sie hätten sie gehasst. Beate Scheder
Matthieu Nicol: „Fashion Army“, SPBH Editions/MACK, London 2024, 50 Euro
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