Mikroapartments in Berlin: Der Wohnzirkus als Geldmaschine
Wer verzweifelt eine Wohnung sucht, darf sein Geld solange in Mikroapartments von „Circus Living“ verbrennen. Was beweist: Der Markt regelt nichts.
Ein Blick auf die Website von „Circus Living“ (auch kein Witz) beantwortet dann auch die Frage, warum die „comfy base“ nicht eigentlich gleich das sweete Home bleiben kann: Die Preise für einen Monat in einem 22-Quadratmeter-Apartment starten bei knapp 1.600 Euro. Also quasi ein Hotel, nur mit einer Mindestdauer von 28 Tagen und ohne Frühstücksbuffet.
Erstaunlich ist, dass die Betreiber:innen keinen Hehl daraus machen, dass ihr Angebot maßlos überteuert und wenig attraktiv ist. Mehr noch, sie machen sogar Werbung damit, dass der einzige Grund, warum sich jemals jemand dafür entscheiden sollte, 1.600 Euro im Monat für die im seelenlosen Ikea-Charme eingerichtete Mini-Butze hinzublättern, pure Verzweiflung ist.
Passend dazu ist die Ansprache konsequent in Englisch gehalten – internationale Wohnungssuchende gehören bekanntermaßen zu den Verzweifeltsten auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Nicht nur erschweren fehlende Sprachkenntnisse und Kontakte die Wohnungssuche, sie sind auch dringend auf eine offizielle Wohnungsanmeldung angewiesen, an der oft existenzielle Dinge wie der Aufenthaltstitel oder die Krankenkasse hängen.
Toll an Circus Living ist auch, dass es eindrücklich zeigt, welchen Beitrag der Markt leisten kann, um die Wohnungkrise zu lindern: überhaupt keinen. Denn um es frei nach einer beliebten SPD-Phrase auszudrücken: Durch Mikroapartments entsteht keine einzige bezahlbare Wohnung.
Aus Verzweiflung Kapital schlagen
Wenn Circus-Living-Mieter:innen weiterhin nach einer Wohnung suchen, weil sie sich die überteuerten Mieten nicht länger als ein paar Monate leisten können, nehmen sie kaum Druck aus dem Wohnungsmarkt heraus. Eine gesellschaftliche Funktion, die darüber hinausgeht, aus der Verzweiflung Wohnungssuchender Kapital zu schlagen, erfüllt das Zeitwohnen also nicht. Hotelbetten gibt es in Berlin bereits genug, Airbnbs auch.
Aus unternehmerischer Perspektive ist der Zirkus jedoch ein doppelter Gewinn: Mehr Mikroapartments verknappen das Wohnungsangebot, erhöhen die Verzweiflung und somit den Bedarf an Mikroapartments. Der Markt regelt!
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen