Migrationspolitik in Polen: Gibt es Lösungen?
Migration ist ein globales Phänomen, mit dem nicht nur Polens Regierungsparteil Stimmung macht. Dabei hat das Land einen bizarren historischen „Bonus“.
D er Sommer in Europa ist rekordverdächtig heiß, die Temperatur in der polnischen Politik erreicht ihren Zenit. Wir schauen uns einige der Vorschläge der Politiker an und reiben uns die Augen. Die Regierungspartei PiS organisiert anlässlich der Wahlen im Oktober ein landesweites Referendum, bei dem zwei von vier Fragen die illegale Migration betreffen. Während die PiS ihre Muskeln spielen lässt und Ängste schürt, schreckt aber auch der Chef der größten Oppositionspartei, Donald Tusk, nicht davor zurück. So kopiert er die Strategien skandinavischer Politiker, die populistische Anti-Einwanderer-Parolen in den Mainstream bringen.
Aber hat denn irgendjemand in Europa eine gute Idee, wie man dieses Problem lösen kann? Schauen wir uns die Fakten an. Es vergeht keine Woche ohne Nachrichten über eine Migrantentragödie. Vor ein paar Tagen kenterte ein Beiboot auf dem Weg nach Großbritannien, sechs Menschen ertranken im Ärmelkanal. Allein in diesem Jahr haben mehr als 45.000 Menschen den Ärmelkanal überquert. Das ist Rekord.
Es ist allgemein bekannt, dass Migration heute ein globales Phänomen ist. Es braucht keine Ermutigung oder Manipulation durch russische und weißrussische Satrapen, damit sich Menschen auf den Weg machen, um ein besseres Leben in Europa zu suchen. Da sie in ihrem eigenen Land keine Chancen für sich sehen, machen sie sich auf eigene Faust auf den Weg. Einige fliehen vor bewaffneten Konflikten, während für andere die natürlichen Bedingungen unerträglich geworden sind. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen vom November 2022 wird es in einem weiteren Vierteljahrhundert 9,5 Milliarden Menschen auf der Erde geben. Das Phänomen der Migration in die wohlhabenderen Gebiete der Welt wird nur noch zunehmen.
Obwohl die Regierung in Warschau sich damit brüstet, wie effektiv die an der polnisch-weißrussischen Grenze errichtete Barriere ist, sind in letzter Zeit etwa 14.000 illegale Einwanderer durch Polen nach Deutschland gekommen. Auch ein absoluter Rekord.
ist Vorstandsmitglied der Stiftung Kultura Liberalna in Polen und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich Affective Societies, Freie Universität Berlin. Sie hat zwei Söhne und pendelt zwischen Berlin und Warschau.
Bizarrer Bonus
Polen profitiert derzeit noch von einem bizarren historischen „Bonus“. Trotz großer materieller Fortschritte in den letzten 30 Jahren ist seine Attraktivität im Vergleich zu Deutschland immer noch durchschnittlich. Die Lösung liegt nicht in Polens „erfolgreicher“ Migrationspolitik, sondern in den niedrigen Löhnen, dem schlechten Zustand des öffentlichen Bildungswesens und des Gesundheitswesens. Das sind jedoch vorübergehende Kriterien. Als in der Ukraine ein ausgewachsener Krieg ausbrach, erwies sich Polen für Millionen von Menschen aus dem Osten als attraktiv. Auch der Umfang der Arbeitsmigration aus anderen Ländern wird zunehmen.
Gibt es Lösungen? Betrachten wir das Problem von zwei Seiten: Auf der einen Seite versprechen Populisten, dass sie die Krise im Handumdrehen lösen werden. Auf der anderen Seite raten die politischen Gegner der Populisten von einfachen Lösungen ab. Seit Jahren spinnen sie nebulöse Märchen über die Stärkung von Frontex, einer gemeinsamen Grenzpolitik und so weiter. Irgendwo dazwischen versuchen sich die Befürworter einer Politik der „harten Mitte“, wie im Fall von Dänemark, zu positionieren. Das ist aber immer noch keine Lösung für das Problem, dass immer mehr verzweifelte Menschen vor bewaffneten Konflikten oder der Armut fliehen.
Den Kopf in den Sand zu stecken – ob in Polen oder anderswo – hat seine Grenzen. Wenn Politiker jedoch keine klugen und langfristigen Lösungen finden, werden wir am Ende mit etwas anderem dastehen. Keine Lösung würde höchstwahrscheinlich innerhalb weniger Jahre den Zerfall des Schengenraums bedeuten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!