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MigrationsforscherDer Levitenleser

Jahrzehntelang hat der Historiker Klaus J. Bade dafür gekämpft, dass Politiker Migrationsprozesse verstehen. Jetzt hält er seine Abschiedsvorlesung.

"Integration ist keine Einbahnstraße", "wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag" - diese und andere Kernthesen von Bade haben sich deutsche Politiker längst angeeignet. Bild: dpa

BERLIN taz Migration begann, als wir von den Bäumen stiegen. "Sonst säßen wir noch immer lallend, lausend und gelegentlich einen Nachbarn verzehrend um unsere schwarze Urmutter in Ostafrika herum. Der Homo sapiens hat als Homo migrans die Welt erobert." So spricht Klaus J. Bade: provokant, pointiert, witzig.

Am Mittwoch wird der 63 Jahre alte Migrationsforscher das letzte Mal in seiner Eigenschaft als Professor für Geschichte an der Uni Osnabrück reden. Der Titel: "Leviten lesen". Er hat angekündigt, dass er auch nach dem Abschied die Politik beraten und kritisieren wird.

Natürlich doziert er manchmal auch schlicht von der Migration als "Grundkonstante der Conditio humana", schließlich ist Bade deutscher Geschichtsprofessor. Doch einer, der dauerhaft in die Köpfe von Politikern und Öffentlichkeit vordringen, der die Angst aus den Debatten über Einwanderung und Integration nehmen will.

Der Gründer des Osnabrücker Instituts für Migration und Interkulturelle Studien war im vergangenen Vierteljahrhundert so omnipräsent, dass ihm heute Politiker auf Debattenpodien mit seinen eigenen Wortschöpfungen antworten: "Integration ist keine Einbahnstraße", "Migration und Integration sind zwei Seiten der gleichen Medaille", "Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag" - alles vor zwanzig und mehr Jahren in die Debatte geworfene Bade-Worte. Bade registriert solche Wiedergänger mit einer Mischung aus Achselzucken und Amüsement. Wer Politiker in Migrationsfragen beraten wolle, müsse dicke Bretter bohren, meint er. Nur wie dick die waren, erschreckt ihn noch manchmal. Anfang der 1980er erklärte Klaus J. Bade Deutschland zum Einwanderungsland, forderte eine begleitende Integrationspolitik, Islamunterricht an deutschen Schulen und ein Bundesamt für Migration und Integration. Knapp zwanzig Jahre später begann mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, mit der Süssmuth-Kommission, mit Zuwanderungsrat und Zuwanderungsgesetz das politische Umdenken bis hinein in die Union. Seitdem gehe es voran, meint Bade, zögerlich und stolpernd zwar und mit "völlig unnötigen Eigentoren". Angstvoll wurde 2004 die bedarfsgesteuerte Einwanderung aus dem Zuwanderungsgesetz gestrichen, die man heute gerne hätte, weil im Aufschwung Fachkräftemangel droht.

Auf dem Feld der Integration herrschten zwei Jahrzehnte Tiefschlaf, wettert Bade. Das beklagen heute auch Politiker aller Couleur. "Und mich haben diese Schlafwandler damals der Ruhestörung geziehen und mir wirklichkeitsfremde Vorstellungen vorgeworfen." Er ist dagegen unermüdlich angegangen, mit fast drei Dutzend Büchern, hunderten von Aufsätzen, Presseartikeln und Interviews.

Zu lange galt vor allem Konservativen Bades Analyse des historischen "Normalfalls Migration" - einer seiner Buchtitel - als Ausfluss von Multikultischwärmerei. Dabei hält sich Bade stets fern von Ideologie oder Parteipräferenz, schwärmt nie, sondern doziert kühl, schnell, präzise, selbstbewusst.

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