Migration: Totgeburt nach "Umverteilung"
Asylbewerberin bringt totes Baby zur Welt, nachdem die Krankenstation der Flüchtlingsunterkunft Horst auf Beschwerden nicht reagiert hat. Anwalt stellt Strafanzeige, Ermittlungen laufen.
Flüchtlingsorganisationen nennen sie seit Längerem "miserabel": Die medizinische Betreuung in der mecklenburgischen Flüchtlingsunterkunft Horst (Kreis Ludwigslust) hat offenbar ein Todesopfer gefordert. Eine 41-jährige hochschwangere Ghanaerin wurde von den dortigen examinierten Krankenschwestern nach einem Blasensprung ohne weitere Untersuchung weggeschickt. In der Folge kam das Kind drei Tage später tot zur Welt. Jetzt ermittelt die Schweriner Staatsanwaltschaft.
Der Vorfall, der erst jetzt bekannt wurde, ereignete sich bereits im Mai dieses Jahres: Die hochschwangere Grace A., die illegal nach Deutschland eingereist war, weil der Vater ihres werdenden Kindes in Hamburg lebt, war von Hamburgs Innenbehörde kurz zuvor nach Horst "umverteilt" worden. Dort wird sie am 5. Mai im Krankenhaus untersucht, und als voraussichtlicher Geburtstermin ein Zeitraum zwischen dem 15. und 20 Mai errechnet.
Am 11. Mai erfährt Grace A., dass sie am folgenden Tag erneut verlegt werden soll: in die Unterkunft Jürgensdorf im Landkreis Demmin im Osten des Bundeslandes. Am selben Tag teilt sie auf der Krankenstation der Horster Unterkunft zwei Krankenschwestern mit, sie habe "Wasser verloren".
Die Unterkunft Horst liegt isoliert auf freiem Feld nahe der früheren innerdeutschen Grenze in Mecklenburg-Vorpommern zwischen Boizenburg und Lauenburg (Schleswig-Holstein).
Rund 330 Flüchtlinge leben derzeit in Horst. 110 davon sind in Hamburg registrierte Flüchtlinge, die dort zur höchstens dreimonatigen Erstaufnahme untergebracht sind.
In ihrem Koalitionsvertrag legten Hamburgs CDU und die GAL 2008 fest, "eine vorzeitige Beendigung der Beteiligung an der Aufnahmeeinrichtung Horst anzustreben und eingereiste Flüchtlinge zukünftig direkt in Hamburg unterzubringen". Die Vereinbarung wurde bislang nicht umgesetzt, weil Hamburg zu wenig Plätze für Flüchtlinge hat.
Die Frau weiß nicht, dass das ein Zeichen für einen Blasensprung und der Fötus in höchster Gefahr ist - nun müsste die Geburt zwingend innerhalb von 24 Stunden eingeleitet werden. Nach Angaben von Grace A. fragen die Krankenschwestern - die nur radebrechend Englisch sprechen - ob sie "pain", also Schmerzen habe. Als A. verneint, wird sie weggeschickt. Sie solle wiederkommen, wenn doch noch Schmerzen kämen.
Als das passiert, ist die Frau längst in Jürgensdorf: Am frühen Morgen des 13. Mai wacht sie in ihrer neuen Unterkunft mit starken Schmerzen auf und wird vom Notarzt ins Demminer Kreiskrankenhaus gebracht. Dort können die Ärzte nur noch den Tod des Kindes feststellen. Fast zehn Stunden quält sich die 41-Jährige, bis sie einen leblosen Jungen zur Welt gebracht hat.
Das mecklenburgisch-vorpommersche Innenministerium in Schwerin schildert die entscheidende Begegnung zwischen der Ghanaerin und den Krankenschwestern in einer schriftlichen Stellungnahme anders: "In diesem Gespräch" habe A. geäußert "dass sie Wasser verloren hätte. Der medizinische Dienst nahm diese Aussage zum Anlass und bot Frau A. an, Sie noch am gleichen Tage nochmals beim Frauenarzt in Boizenburg vorzustellen. Dieses Angebot lehnte Frau A. ab und verließ den medizinischen Dienst."
Das habe ihm seine Mandantin "ganz anders berichtet", sagt A.s Anwalt Mark Nerlinger. Doch sogar, wenn die Version des Ministeriums stimmen würde, "hätten die Krankenschwestern meine Mandantin nicht einfach fortschicken dürfen, sondern ihr klar machen müssen, dass sie sofort in die Klinik muss, um eine Geburt einleiten zu lassen". Nerlinger hat Strafanzeige wegen "unterlassener Hilfeleistung" und aller "infrage kommenden Delikte" gestellt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Glaubt man den betroffenen Frauen, ist es um die Sorgfalt gegenüber schwangeren Flüchtlingen in Horst insgesamt schlecht bestellt. Bei einem Pressetermin in der Unterkunft berichteten in der vergangenen Woche mehrere schwangere Bewohnerinnen der taz, dass ihnen jede gynäkologische Voruntersuchung verweigert worden sei. Schwangerschaftsbeschwerden würden in aller Regel nur mit Paracetamol behandelt.
Inzwischen hat sich auch die Hamburger Ärztekammer in den Fall eingeschaltet: Laut Hamburger Ärzteblatt kritisierte sie den Umgang mit schwangeren Flüchtlingen gegenüber der Hamburger Innenbehörde "aufs Schärfste". Offenbar eine erfolgreiche Intervention: Die Behörde sagte zu, dass in Hamburg geduldete Frauen ab der 26. Schwangerschaftswoche zukünftig weder in andere Bundesländer umverteilt noch der Außenstelle Horst in Mecklenburg zugewiesen werden.
"Wir freuen uns sehr über das Ergebnis", erklärt Hamburgs Ärztekammerchef Ulrich Montgomery. Er fügt aber auch hinzu: "Es sollten nun auch in anderen Fragen Taten folgen, um die medizinische Versorgung von Illegalen in Hamburg zu verbessern."
Auch die Hamburgische Bürgerschaft beschäftigte sich am Mittwoch auf Antrag der Linksfraktion mit der Unterkunft in Horst. Der Abgeordnete Mehmet Yildiz beklagte "die mangelhafte medizinische Versorgung", die darin gipfele dass "Frauen, die hochschwanger sind, von keinem Arzt betreut" würden. Während die CDU dort "keine menschenunwürdigen Zustände" feststellen konnte, bezeichnete die Innenexpertin des grünen Koalitionspartners, Antje Möller, Horst als "Einrichtung die nicht Integration" fördere - "sondern Isolation".
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