Migrantinnen in Katar: Wenn Sex zum „Love Case“ wird
Die Arbeitsgesetze verbieten außereheliche Beziehungen und bringen junge Mütter nach der Geburt ins Gefängnis. Auch auf Abtreibung steht Haft.
Dann aber kamen Polizisten des Criminal Investigation Departments (CID) und steckten Mutter und Kind ins Gefängnis. Hintergrund ist, dass ausländischen Arbeitskräften in Katar außereheliche Beziehungen verboten sind. Auf die Einhaltung dieser Gesetze wird mal mehr, mal weniger streng geachtet. Die Angst vor dem CID kontaminiert allerdings die Liebe im konservativen Wüstenstaat.
„Mit meinem Arbeitgeber hatte ich bis dahin keine Probleme. Bis eine Woche vor der Geburt ging ich sogar noch arbeiten“, erzählt Mary. Anderen Frauen geht es schlechter, hat sie beobachtet: „Manche werden von ihrem Arbeitgeber angezeigt. Vor allem Frauen, die als Haushaltshilfe arbeiten, haben es schwer. Die Familien, bei denen sie angestellt sind, stört vielleicht gar nicht einmal so sehr, dass die Frauen einen Freund haben. Sie wollen aber verhindern, dass fremde Männer ins Haus kommen, und erstatten deshalb Anzeige.“
Für Mary, die seit 2007 bei einem japanisch-katarischen Subkontraktor des Erdgasgiganten tätig war, wurde es erst gefährlich, als das Krankenhaus nach ihren Heiratspapieren fragte. „Spätestens drei Tage nach einer Geburt muss diese in das staatliche Geburtenregister eintragen. Sie ließen mir die drei Tage Zeit, um die Papiere zu besorgen“, schildert Mary. Sie hörte von Frauen, die sich gefälschte Papiere besorgten, schreckte selbst aber davor zurück.
Zwei Jahre und zehn Monate Haft
Wegen der unerlaubten Geburt erhielt sie ein Jahr Gefängnis, ein weiteres Jahr und zehn Monate kamen hinzu, weil während der Haftdauer Schulden wegen nicht gekündigter Verträge aufliefen.
Über die Bedingungen im Gefängnis findet die mittlerweile wieder auf den Philippinen lebende Frau im Telefonat mit der taz überraschenderweise nur gute Worte. „Es war sehr sauber, jede Frau bekam bei Einlieferung eine neue Matratze und neues Bettzeug. Wir hatten Waschmaschine und Trockner zur Verfügung. Ärzte kümmerten sich um uns. Wer arbeiten wollte, konnte dies auch tun“, erzählt sie. Weil auch „nur“ sieben Frauen ein Zimmer belegten, waren die Bedingungen sogar besser als in mancher Arbeiterunterkunft jenseits der Gefängnismauern.
Mary
Mary trägt ihr Schicksal mit Gelassenheit. Sie schimpft nicht einmal auf die katarischen Gesetze. „Natürlich, vom Ausland aus wirkt ein solches Gesetz sehr seltsam. Aber für die Leute in Katar ist es normal. Es ist meine Schuld, dass es so weit kam“, meint sie. Sie würde sogar für einem neuen Job nach Katar kommen, wenn sie wegen der Gefängnisstrafe keine Nachteile befürchten müsse, versichert sie.
Vor allem Frauen werden angeklagt
Frauen und Mädchen in ähnlicher Lage rät sie aber: „Wenn ihr schwanger werdet, nehmt sofort einen Flug nach Hause und bringt das Kind dort zur Welt!“. Abtreibung wäre im Übrigen auch kein Ausweg. „Dafür drohen in Katar drei Jahre Gefängnis“, erklärt Mary.
Ihre Geschichte ist kein Einzelfall in dem Golfstaat. Sogar Vergewaltigungsopfer werden mitunter ins Gefängnis gesteckt. Genaue Zahlen gibt es nicht, nur episodisch kann man die Dimension ermessen. Eine Untersuchungskommission des philippinischen Parlaments listet für 2011 21 Landsleute auf, die in Katar wegen „Love Cases“ und weitere sechs, die wegen Ehebruchs angeklagt oder verurteilt waren. Die meisten von ihnen, 24 der 27, waren Frauen – ein deutliches Ungleichgewicht in der Strafverfolgung.
Zugleich wird der hohe Kriminalisierungsdruck für migrantische Arbeiterinnen deutlich. „Love Cases“ waren gender–übergreifend die zahlenmäßig stärkste Deliktgruppe, mit Abstand folgten Diebstahls- (12) und Drogenfälle (8). Die Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar hat die Weltöffentlichkeit aufmerksamer auf den Wüstenstaat werden lassen. Vor allem die Arbeitsbedingungen der Stadionerbauer für das Turnier stehen immer wieder in der Kritik. Hier hat sich einiges getan. Betrachtet man andere Bereiche der katarischen Gesellschaft, stellt sich allerdings die Frage, zu welcher Art von Sportfest man dort eingeladen sein wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen