Migrantenförderung: Von Amerika lernen
Bildungstips per Liveschalte: Bill Gates erklärt der Integrationskonferenz, wie man Migranten mit Stiftungen fördern kann. Kräftig unterstützt von Angela Merkel.
BERLIN taz Mit Bill Gates ist das so eine Sache. Einerseits malträtiert er die Monopolwächter überall auf der Welt, weil er mit seinem Microsoft-Imperium sämtliche Konkurrenten an die Wand drückt. Andererseits ist er der größte Mäzen weltweit, seine "Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung" hat ein Vermögen von über 30 Milliarden Dollar.
Die gemeinnützige Hertie-Stiftung vergibt mit "START" Stipendien an Schüler aus Einwandererfamilien. Jährlich vergibt die Stiftung rund 100 Stipendien und fördert derzeit 500 Schüler. Bewerben können sich Schüler mit guten schulischen Leistungen und gesellschaftlichem Engagement.
In Bayern und Baden-Württemberg fördert die Robert-Bosch-Stiftung begabte Schüler mit Migrationshintergrund. Pro Bundesland werden jährlich jeweils 50 Stipendiaten aufgenommen, insgesamt sind es 400 Stipendiaten.
Bei der Vodafone-Stiftung können sich Abiturienten aus Einwandererfamilien bewerben. Die Stiftung finanziert mit "Vodafone Chancen" Studienplätze an vier Privathochschulen. Das Programm läuft seit zwei Jahren, dieses Jahr wurden 19 Stipendiaten aufgenommen.
Und obendrein ist Gates noch ein charmanter Typ.
Bei ihm in San Francisco ist es gerade zwei Uhr morgens, aber Gates ist noch fröhlich. "Wir müssen darüber nachdenken, wie wir allen in der Gesellschaft die Früchte unserer Möglichkeiten zugute kommen lassen können." Für Unternehmer sei es wichtig, "mit Freude etwas von ihrem Reichtum an die Gesellschaft zurückzugeben". Dabei guckt Gates ganz ausgeruht von dem großen Bildschirm an der Wand.
Denn Bill ist gar nicht da. Im Weltsaal des Auswärtigen Amtes in Berlin sitzen 450 Stifter, Politiker, Bildungsakteure und allerlei Medienvolk. Sie gucken hinauf zu dem Mann, der ihnen via Liveschalte Tipps geben soll, wie man "Integration durch Bildung im 21. Jahrhundert" schaffen kann.
"Wie macht ihr das in Amerika mit den Migranten, Bill?", fragt eine Frau auf der Bühne.
Die Frau, die so kess fragt, ist Angela Merkel, ihres Zeichens Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist zu der Integrationskonferenz gekommen und gibt sich jetzt sehr neugierig. Aber in Wahrheit wird sie wieder ein Exempel dafür abgeben, wie man Leute mit sehr verschiedenen Interessen für sich einspannen kann.
Denn es geht ja um Bildung und Migranten heute, und auf diesem Feld steht das Deutschland der Kanzlerin gar nicht gut da. Der Präsident der Europäischen Kommission, Manuel Barroso, deutet es nur sehr vorsichtig an. Es sei gar nicht einfach, die zweite Generation von Migranten genauso gut einzubinden wie die erste. "Einige Mitgliedstaaten", murmelt Barroso auf der Bühne, "haben da Probleme." Er hätte auch sagen können: Keines von 17 untersuchten Staaten schneidet hier so miserabel ab wie Deutschland.
Bei der ersten Zuwanderergeneration sind es hierzulande schon satte 25 Prozent der zugewanderten Schüler, welche die zweite Kompetenzstufe des Pisa-Tests nicht erklimmen. Bei der zweiten Generation aber, also den bereits in Deutschland geborenen, bleiben 40 Prozent der Zuwandererkinder auf dem Kaum-sprech-und-nix-verstehn-Niveau. Die Kanzlerin sagt es so: "Die Kinder sollen, wenn sie in die Schule kommen, ihren Lehrer verstehen können."
Versteht sich von selbst, dieser Satz. Nur ist es in Deutschland eben ganz anders.
Man könnte es ruhig eine nationale Tragödie nennen. Seit 40 Jahren sind die Zuwanderer hier. Und die Ergebnisse des Bildungssystems sehen so aus: 40 Prozent schaffen keine Ausbildung, 30 Prozent landen in Hauptschulen, aufs Gymnasium schaffen es gerade mal neun Prozent. Wenn man die Sprachfähigkeit der Vorschüler mit Migrationshintergrund testet, kommen haarsträubende Werte heraus: dann bestehen zwischen 30 und 80 Prozent die Tests nicht. Sie können, wie die Kanzlerin es so treffend formuliert, ihren Lehrer nicht verstehen.
So ist die Situation. Wie damit umgehen?
Das kann nur die Kanzlerin.
Sie lädt sich einen Haufen Stifter ein, das sind professionelle Gutmenschen. Irgendein vermögender Mensch will etwas Gutes tun, also legt er viel Geld an und bezahlt aus den Zinsen wirklich sinnvolle Sachen davon.
Solche Programme gibt es zuhauf in Deutschland, man kann sie gar nicht recht zählen. Und dahinter stehen extrem eloquente Stiftungsmanager, die tun Gutes und reden auch noch darüber. Die famose Heike Kahl gehört dazu, die mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung das halbe Ganztagsschulprogramm des Bundes betreut und verbessert. Oder die Hertie-Stiftung, die ein aufsehenerregendes Projekt in Frankfurt entwickelt hat, bei dem Kindergärten im Brennpunkt Gallusviertel ihren 80 Prozent Zuwandererkindern tatsächlich Deutsch beibringen - vor der Schule.
Und natürlich die Vodafone-Stiftung. Die ist noch ganz neu und deswegen hält sich ihr philanthropisches Engagement noch in Grenzen, in sehr engen Grenzen. Ganze 30 Stipendien vergibt sie an Migrantenkinder wie Mojtabar Sadinam und Yoncar Dege (Text unten). Beiratsvorsitzender Thomas Ellerbeck begründet das begrenzte Engagement der Stiftung des Telefonmultis damit, dass man noch eine sehr junge Stiftung sei. Das bedeutet so viel wie "Wir müssen noch lernen" - und genau das ist der Punkt von Angela Merkel.
Denn die Kanzlerin fragt Bill Gates nicht umsonst so scheinbar unbedarfte Fragen wie "Wie machst du das eigentlich, Bill?". Sie weiß genau, dass das Engagement der Stiftungen in den USA ungleich viel größer ist. Gates hat über die Hälfte seines auf 56 Milliarden Euro geschätzten Vermögens gestiftet. Das ist, so schlaumeiern die Vodafone-Leute, "etwas gaaaanz anderes, weil es nicht Mister Vodafone gibt, sondern Anteilseigner". So so.
Wer Vodafone verstehen will, muss sich mal die Fulbright-Kommission ansehen. Die vergibt von Haus aus USA-Stipendien. Für ihr neues Diversity-Programm lädt sie nun aber 16 Abiturienten mit Migrationshintergrund an die California State University at East Bay, damit sie erste Studienerfahrungen sammeln können. Das Programm wird durch Freunde und Förderer des deutsch-amerikanischen Fulbright-Programms ermöglicht - auf Deutsch: aus dem Geld vom Alumnis. Das sind die Dimensionen, die etwas über die Situation der Stifter und der Migranten gleichermaßen aussagen: 30 Stipendien des Telefonmultis - und 16 Stipendien von ein paar Dutzend Fulbrightern.
Die Kanzlerin sagt dazu vor 450 Leuten: "Ich möchte die Stiftungen nicht beschimpfen. Aber wir können noch einiges lernen von den Stiftungen in Amerika."
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