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nebensachen aus madridMiefendes Jubiläum

Danke, Papa!

Unser aller Vater hat zehnjähriges Amtsjubiläum. Dreitausendsechshunderdreiundfünzig lange Tage ist José María Alvarez de Manzano im Amt. Unermüdlich, gütig und mit großer Voraussicht leitet der Bürgermeister die Geschicke der spanischen Hauptstadt Madrid. Nichts bringt den Konservativen aus der Ruhe: immer gut gelaunt und stets ein Lächeln auf den Lippen – selbst angesichts schwierigster Probleme. Alvarez de Manzano ist aus dem Holz, aus dem mächtige Männer früher geschnitzt waren. Aufopfernd wie ein Familienvater kümmert er sich um seine Stadt. Immer darauf bedacht, dass es uns, seinen drei Millionen Kindern, gut geht.

„Madrid ist heute so sauber wie noch nie“, jubelt er. Nicht dass weniger Müll auf den Straßen herumläge als früher. Darum geht es nicht. Die Stadtreinigung wurde privatisiert und funktioniert schlechter denn je. Es geht um die Bänke und Tische auf den Plätzen. Die ließ der Stadtvater gleich zu Beginn seiner Amtszeit abschrauben. Die lästigen Obdachlosen zogen sich in Hauseingänge und U-Bahnhöfe zurück, und die Rentner spielen dort Karten und Domino, wo solche verruchten Glücksspiele hingehören: in stickig-verrauchten Kneipen.

Ein Wochenendmarkt, auf dem Einwanderer aus Lateinamerika ihr Kunsthandwerk verkaufen, wurde gleich mit geschlossen. Auch gegen den Drogenhandel in der Innenstadt zog der Bürgermeister mit ungewöhnlichen Mitteln zu Felde. Er öffnete kleine Fußgängerzonen für den Straßenverkehr. Die Gassen sind so eng, dass nicht nur die Dealer vor den Autos Reißaus nehmen mussten. Alvarez de Manzano ist ein Romantiker. Er glaubt an die ewigen Werte, an Liebe und an Treue. Wo er auch hingeht, begleitet ihn seine Frau. „Ich verehre sie über alles“, gesteht er offen. Wer will ihm da abschlagen, dass er die „erste Dame Madrids“ auf Gemeindekosten überallhin mitnimmt?

Das glückliche Paar fördert das Brauchtum. Noch nie gab es so viele Prozessionen durch die Altstadt wie heute. Auch das Liedgut kommt nicht zu kurz. Alle Jahre wieder eröffnet Alvarez de Manzano den Weihnachtsmarkt, in dem er höchstpersönlich Villancicos, die überlieferten Weihnachtslieder, auf dem Rathausbalkon singt. Das ist Kultur und Tradition. Rock oder Rap stören die Idylle: Mehrere Clubs wurden wegen Ruhestörung geschlossen. Kritik? Gibt es hin und wieder, ist aber nicht ohne. Der gütige Vater fühlt sich schnell missverstanden.

Movida, Bewegung, hieß das Motto des Nachtlebens, als der Konservative an die Stadtregierung kam. Kreativität, künstlerisches Schaffen, das Erleben der nach der Franco-Diktatur wieder gewonnenen Freiheiten, jeder hatte Pläne, alle träumten von ihrem durchschlagenden Projekt. Madrid war für seine Nacht weltweit bekannt. Heute, zehn Jahre später, redet keiner mehr von „Bewegung“, sondern vom „Botellón“ – „große Flasche“. Zehntausende Jugendliche treffen sich jedes Wochenende auf öffentlichen Plätzen, mischen Cola mit Wein oder Härterem und kippen es literweise ab. Eine erfolgreiche Nacht endet für alle im Delirium und für einige im Notarztwagen oder gar mit dem Tod. Die Stadtpolitik stinkt regelrecht zum Himmel. Es ist der beißende Geruch nach Urin und Erbrochenem.

REINER WANDLER

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