Michael Hurley auf Tour: Immer irgendwie anders
Man sollte das Ereignis in die großen Arenen dieser Welt verlegen: Die US-Folklegende Michael Hurley kommt gemeinsam mit Josephine Foster nach Deutschland.
Unter düsteren Mystikern gibt es das Konzept vom „Ding, das nicht sein darf“ – Kobolde aus einer anderen Dimension, Zeitreisende, die in die Vergangenheit gereist sind, um den eigenen Vater als Kind zu ermorden, usw. So ein Ding kommt jetzt auf Konzertreise nach Deutschland: Michael Hurley.
Völlig unmöglich, dass unsere untote Tonträgerindustrie in ihrer Agonie eine Karriere wie diese zulässt: Hurleys Debütalbum erscheint 1965 auf dem Blues-und-Folk-Revival-Label Folkways, dann erst mal nichts, weitere Veröffentlichungen in den siebziger Jahren, einige sogar beim Major Warner Brothers, andere bei den Puristen-Folkies von Rounder Records, dann wieder jahrelang nur live oder in der Küche aufgenommene Kassetten. Dann kommen die Achtziger und die Postpunks von Fundamental Records, und Yo La Tengo protegieren Michael Hurley und geben mit ihm Konzerte. Schließlich tritt der sehr dienstbare Münchener Peter Schneider auf den Plan, der Mitte der Neunziger auf seinem leider nur kurzlebigen Label Veracity zwei Alben herausbringt.
Im neuen Jahrtausend unternehmen die Freak Folkies um Devendra Banhart einen weiteren Vereinnahmungsversuch. Zuletzt verbeugt sich gar das gestrenge britische Magazin The Wire, spezialisiert auf alle Arten unkommerzieller und schwer vermittelbarer Musik.
Dabei macht Hurley immer noch sehr freundliche, versponnene Folk-Songs, mit klarem Country-Anteil. Ihn als alten Hippie zu bezeichnen, ist nicht ganz abwegig. Desinteresse an Kohle und Karriere ist bei ihm keine Pose, sondern selbstverständlich. Dennoch schafft es Michael Hurley, seit fast 50 Jahren professionell Musik zu machen, Songs zu schreiben, Alben zu veröffentlichen, Konzerte zu geben. Und zwar ausschließlich wann, wo und wie er es will.
Nirgendwo passt er so richtig
Hurley ist immer irgendwie anders. Nirgendwo passt er so richtig dazu. Für die Retro-Folk-Puristen und Blues-Fanatiker im Greenwich Village der frühen Sechziger war er zu freigeistig, für die Hippies zu eigenbrötlerisch, nicht naiv genug und mitunter zu finster. Für lebensabgewandte Melancholiker, die Nick Drake und Tim Hardin verehren, ist er zu gelassen, für die Alternative-Szenen der letzten Jahrzehnte zu fröhlich, zu desinteressiert am Posieren.
Selbst bei den Freak Folkies passte er nicht so recht rein, denn verehren die nicht in erster Linie exaltierte Exzentriker wie den frühen Marc Bolan? Wie können sie da bei diesen ruhigen, ereignisarmen Liedern andocken, die ohne schmückende Beigaben vorgetragen werden? Diese Haltung dürfte auch Greil-Marcus-Lesern und anderen Freunden amüsant formulierter Theorien Kopfzerbrechen bereiten, die Hurley beim „unheimlichen, dunklen Amerika“ und in der Tradition der Harry-Smith-Anthologien einsortieren wollen.
Da beschreibt er in „National Weedgrowers Association“ den Prozess der Marihuanaproduktion in der ersten Person Plural von der Aussaat bis zur Ernte und man hat wenig Schwierigkeiten, sich dazu die etwas verspulte Landkommune vorzustellen. Noch rabelaishafter geht es dann im „Slurf Song“ zu, in dem ein bukolisches Hippie-Picknick schön chronologisch erzählt wird, vom Tischdecken bis zur Verdauung und den Exkrementen. Das ist lustig. Nicht so brüllend lustig wie mitunter bei Randy Newman. Dafür kann man sagen, dass Michael Hurley wegen der unpolierten Schlichtheit seiner Arbeit als Zenmeister letztlich eine noch überzeugendere Besetzung ist als Leonard Cohen.
Selbst seine Stimme klingt immer anders, aber nicht in Entsprechung zu dem, was er da singt. Am Ende will er vor allem gut leben, hat man den Eindruck. Seine Songs und seine Comics sind das, was er als Tauschware einsetzt, um das zu ermöglichen.
Folk singende Hunde
Comics? Mit den Vignetten über Boone und Jocko, die Beatnik-Wölfe, und ihre Folk singenden Hunde-, Bären- und Füchsefreunde schmückt er nicht nur seine Plattencover liebevoll aus, sondern verkauft sie mitunter auch separat. Hier haben wir weniger Zen und mehr Geschichten aus dem Leben eines reisenden Beatniks. Stripperinnen inklusive.
Für die Bildergeschichten wie für die Lieder gilt: Am einzelnen Werk ist die Faszination schwer zu erfahren und zu beschreiben, die Hurley ausüben kann. Auf den ersten Blick wirkt alles so … unspektakulär, normal, genreimmanent. Zur Epiphanie bedarf es eines zweiten Blicks, eines kurzen, genauen Zuhörens, wenn er sich mal wieder lustvoll, aber taktsprengend in einer Anhäufung möglicher Blues-Lick-Überleitungen verliert, eine kurze, schwere Versenkung in Texte wie „Don’t Call Me Sam“ oder „Sweet Lucy“, in denen jedes Wort so punktgenau stimmt, dass sich etliche poetologische Proseminare daran abarbeiten könnten.
Eine Liga mit Bob Dylan
Das ist durchaus in einer Liga mit Bob Dylan, Townes Van Zandt oder Tim Hardin. Und dennoch ergäbe sich noch mehr aus der Gesamtheit, aus dem Blick auf die Vielheit der Hurley’schen Perspektiven.
Dass Michael Hurley jetzt ausgerechnet für drei Konzerte nach Deutschland kommt und in Berlin etwa im kleinen Club Ausland auftritt, jener wunderbaren Oase für Krach, Dissonanzen, Improvisation und andere gewagte musikalische Versuchsanordnungen, passt natürlich überhaupt nicht und passt dadurch natürlich wieder glänzend zu ihm. Eine andere exzellente Idee ist es, ihn mit der jungen amerikanischen Musikerin Josephine Foster zusammenzubringen, noch so einem Ding, das nicht sein darf, das sich mit The Wire-Sympathien den Zugang zu jenen extrem-alternativen Szenen verschafft hat, die gerne experimentelle Clubs besuchen.
Auch Frau Fosters Karriere läuft quer zu allen Gepflogenheiten der darbenden Tonträgerwirtschaft. Enthusiastischer Zuspruch für ihre Gesangseinlagen auf Hochzeiten, Bar-Mizwas und Taufen brachte sie auf die Idee, eine klassische Gesangsausbildung zu wagen. Einige Zeit später beschließt sie jedoch, es lieber mit eigenen Songs zu versuchen.
Psychedelic und Brahms
2000 veröffentlicht sie ihr Debütalbum „There Are Eyes Above“, auf dem sie sich auf der Ukulele begleitet. Bei der Internetseite Pitchfork feiert man schon die Geburt einer neuen „alternative folk queen“. Ihr musikalischer Appetit scheint jedoch grenzenlos und so singt sie in den Folgejahren gleichermaßen Kinderlieder wie Free Jazz, veröffentlicht mit „A Wolf In Sheep’s Clothing“ ein Album mit klassischen Liedern von Schubert, Schumann und Brahms, während ihr psychedelische Rockalben wie „All The Leaves Are Gone“ und „This Coming Gladness“ Vergleiche mit Jefferson-Airplane-Sirene Grace Slick einbringen. Schon auf diesen Alben wird sie begleitet von dem spanischen Gitarristen Victor Herrero, mit dem sie in der Folge eine Zeit lang in Andalusien lebt.
Dort kommt ihr die Idee, jene teilweise uralten spanischen Volkslieder neu zu interpretieren, die Federico García Lorca als „Las canciones populares españolas“ gesammelt und 1931 sogar selbst aufgenommen hat. „Anda Jaleo“, 2010 veröffentlicht, ist ihr bis heute vielleicht schönstes Album, und das scheint sie selbst auch so zu sehen, denn unter dem Titel „Perlas“ soll im Mai eine Fortsetzung folgen.
In Deutschland wird sie leider ohne Herrero und Band auftreten und wahrscheinlich einen Querschnitt durch ihr heterogenes Repertoire präsentieren, was natürlich auch wunderbar ist. Man weiß eigentlich gar nicht, auf welchen der beiden Künstler man sich mehr freuen soll. Und da es auch etlichen anderen Musikfreunden so gehen könnte, sollte man nicht ausschließen, dass die Konzerte doch noch in die O2-Arenen dieses Landes verlegt werden.
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