Michael Bartsch über die Ost-West-Unterschiede: Wer hat, dem wird gegeben
Es gibt das Grundgesetz und den Artikel zwei des Raumordnungsgesetzes, die die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland anstreben. Und es gibt das Grundgesetz des Kapitalismus, das der Volksmund vulgär mit dem Satz beschreibt: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen! Etwas milder formuliert es der Evangelist Matthäus in der Bibel: Wer hat, dem wird noch gegeben werden, und wer nicht hat, dem wird das Wenige auch noch genommen werden.
Nun hat die am Montag vorgestellte Publikation des Leibniz-Institutes für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) „Vereintes Land – drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall“ dieses Gesetz in brutalstmöglicher Weise noch einmal bestätigt. Unter straff ökonomistischen Aspekten mag das größte von der EU geförderte Forschungsprojekt des IWH sogar recht haben.
Wenn man Arbeitsplätze im Osten mit staatlichen Subventionen erhalten hat, sind die Betriebe eben nicht so produktiv wie durchrationalisierte und voll marktfähige im Westen. Und in der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft sind die großen Städte und nicht das flache Land die Motoren einer Entwicklung, die vielleicht einmal zu einer wirtschaftlichen Ost-West-Angleichung führen könnte.
Aber solche Anwendung der reinen Marktlehre erweist sich einmal mehr als zynisch. Der konsequent zu Ende denkende Ossi wird schlussfolgern, dass es jenseits der Ballungsräume von Dresden, Leipzig, Jena oder Potsdam keine Perspektive gibt. Wie passend im dreißigsten Jahr nach der hochgelobten Herbstrevolution 1989 in der DDR.
Ein Nackenschlag auch für die Wahlkämpfer 2019 insbesondere der CDU. Durch die Erfolge der AfD in ländlichen Räumen und Kleinstädten speziell bei den Bundestagswahlen 2017 aufgeschreckt, entdeckte die Union die „Provinz“ gerade wieder. Eben weil dort auch Menschen leben, sind Politiker zu staatlichen Ausgleichsmaßnahmen aufgefordert. Ganz abgesehen davon, dass die Nachteile der Urbanisierung wie explodierende Mieten auch nicht gerade zum sozialen Frieden beitragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen