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Meuterei in Madagaskar niedergeschlagenSaphirräuber und Zebuwilderer

Die jüngste spektakuläre Armeemeuterei offenbart die tiefe Krise, in der der Inselstaat seit dem Militärputsch von 2009 steckt. Der Präsident hielt bis jetzt seinen Rivalen im Exil.

Andry Rajoelina regiert in Madagaskar seit dem Militärputsch 2009.

ANTANANARIVO taz | Madagaskar ist ein blockiertes Land. Der Verkehr in der Hauptstadt Antananarivo, insbesondere im „Chinesenviertel“ Behohorika, steckt im Dauerstau, die Politik steckt in einer Sackgasse. Jüngstes Alarmsignal: Die Armeemeuterei vom vergangenen Wochenende in einer großen Kaserne nahe dem Flughafen, die mit der Tötung des Anführers Korpora Koto Mainty endete.

Seit März 2009 regiert in Madagaskar Jungpräsident Andry Rajoelina. An ihn übertrug die Armee die Macht, nachdem sie den gewählten Präsidenten Marc Ravalomanana weggeputscht hatte. Rajoelina hat bei afrikanisch vermittelten Verhandlungen im September 2011 versprochen, nur noch für ein Jahr bis zu Wahlen im Amt zu bleiben.

Aber dazu soll Ravalomanana aus dem südafrikanischen Exil zurückkehren und eine Amnestie genießen – und das lehnt Rajoelina ab, unter Verweis auf Ravalomananas Verurteilung im Jahr 2010 in Abwesenheit wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Diese Anklage bezieht sich auf ein Massaker an rund 30 friedlichen Demonstranten, das Ravalomananas Garde 2009 begangen hatte, was den Putsch mit auslöste.

Die Armeeführung lehnt Ravalomananas Rückkehr in die Heimat bis heute ab. Hinter dieser Hardlinerposition versteckt sich Rajoelina. Doch nach der jüngsten Meuterei erklärte sich Rajoelina zu einem Treffen mit Ravalomanana bereit. Die beiden sollen sich in diesen Tagen auf den Seychellen sprechen.

Alle zwei Wochen ist auf Madagaskar von Putschversuch die Rede. Im März meuterten Unteroffiziere. Im April wurde ein Obristenkomplott aufgedeckt. Mitte Juni wanderten Soldaten wegen angeblichen Plänen zur Besetzung des Generalstabs in Haft.

Straßenräuber und Wilderer

Auch jenseits dessen wird Madagaskar immer unsicherer. Die wichtige Überlandstraße, die die Hauptstadt im Hochland mit dem 350 Kilometer entfernten Ozeanhafen Toamasina verbindet, wird immer öfter von Straßenräubern überfallen. Sie zielen auf Saphirhändler, die mit Geld zu den Bergwerken von Ambatodrazaka fahren und mit Edelsteinen zurückkehren.

Völlig unübersichtlich ist die Lage im entlegenen Süden, wo Aktivitäten von Wilderern sich nach Meinung eines hohen Generals zu einer „Guerilla“ ausgeweitet haben.

Anfang Juni starben 12 Soldaten und Gendarmen in einem Hinterhalt in Befotaka, gelegt von einer Gruppe unter Kontrolle des 2008 aus der Haft entlaufenen Sträflings Remenabila. Diese Gruppe, genannt „dahalo“, soll seit 2008 über 3.000 Zebu-Rinder gewildert haben.

Regierung tief gespalten

Innenminister Florent Rakotoarisoa würde gerne die Dahalo in ihrer Hochburg Bekolintsa angreifen, möglichst mit Hilfe französischer Kampfhubschrauber. Premierminister Jean-Omer Beriziky möchte das nicht. Einer seiner Berater erklärt dazu, dass die Dahalo ausgerechnet von Teilen der Gendarmerie moderne Waffen erhalten.

Nicht nur daran zeigt sich, dass die seit November 2011 amtierende „Konsensregierung“ aus allen Parteien tief gespalten ist. Jeder Minister fühlt sich vor allem seiner eigenen Partei loyal. Umweltminister Joseph Randriamiharisoa wurde am 12. April entlassen, amtiert aber bis heute.

Fünf Ravalomanana-treue Minister boykottieren seit Monaten die Kabinettssitzungen. Den Unabhängigkeitstag feierten sie und die anderen Minister an getrennten Orten.

Arbeitslosigkeit und Armut

Derweil versinkt die Bevölkerung in der Armut. Die Joghurtfabriken des Unternehmens „Tiko“, das dem gestürzten Ravalomanana gehört, sind auf Regierungsanordnung geschlossen, die Supermärkte der Kette „Magro“ wurden angezündet.

Die USA haben Madagaskar von ihrem Afrika-Freihandelsgesetz AGOA ausgeschlossen, womit 50.000 Arbeiter im madegassischen Textilsektor arbeitslos geworden sind. Laut UNO leben 76,5 Prozent der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze.

Inzwischen kursiert ein neuer UN-Friedensplan: Wahlen nicht im kommenden September, sondern im Mai 2013, nach der Wirbelsturmsaison. Bis dahin soll das Wahlregister bereinigt werden, auf dem angeblich von 7 Millionen Namen 2 Millionen Mehrfacheinträge sind.

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1 Kommentar

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  • A
    Aeon

    Monsier Misser, sehr geehrte Redaktion:

     

    Danke für den Bericht. Im deutschsprachigen Raum findet die madagassische Krise keine Beachtung.

     

    Ich habe 2006 Bekannte und Kollegen in Madagaskar zurückgelassen. Ich kenne Europäer, die dort auch jetzt noch arbeiten. Madagaskar ist, im Vergleich zu vielen Staaten des afrikanischen Kontinents, noch immer relativ sicher. Aber mir großer Sorge beobachte ich, vollkommen uninformiert von der mainstream-Presse, wie die Naturschätze Madagaskars verschwinden. Und keiner hier merkt's. Von mir aus könnte man Deutschland komplett zubetonieren, wenn dafür auf Madagaskar alle Habitatreste zumindest im ist-Zustand erhalten blieben. Die Welt hätte viel gewonnen...

     

     

    Absurd: möglicherweise wirkt sich gelegentlich die Instabilität sogar positiv aus, weil einige Großprojekte mit giganzischem Flächenverbrauch so auf Eis liegen. Aber das steht auf einem anderen Blatt, und: ich frage mich, wie die Firmenriesen und Grossinvestoren, die schon vor Ort sind (Rio Tinto, anyone?) die Lage erleben. Vielleicht werden irgendwelche völkerrechtlich bindenden Verträge für die Zukunft der Ressourcenausbeutung jetzt schon eingetütet...

     

    So oder so: ich würde mich freuen, mehr über Madagaskar zu lesen.