Merkels schlauer Podcast-Move: Fliegende Tafelschwämme

Kanzlerin Angela Merkel hat sich in ihrem letzten Videopodcast kurzerhand selbst zitiert. Keine neuen Worte, sondern eine Leistungskontrolle.

eine Schulklasse 1984 in Ostberlin

SchülerInnen im Unterricht an der 6. Polytechnischen Oberschule in Prenzlauer Berg um 1984 Foto: Tobias Seeliger/imago

Das war lustig mit Angela Merkel. In ihrem letzten Videopodcast hat die Kanzlerin sich nämlich kurzerhand selbst zitiert. Statt wie in den Wochen zuvor die Pionierleiterin vom Dienst zu markieren und den BürgerInnen weiter geduldig ins Gewissen zu reden, sie mögen doch bitte in der Coronakrise simpelste Vorsichtsregeln befolgen, sagte sie dieses Mal nach siebzig Sekunden: „Ich weiß, eigentlich erwartet man, dass Politiker immer wieder neue Worte finden. Aber für mich gilt das, was ich Ihnen letzte Woche gesagt habe noch Wort für Wort. Daher würde ich mich freuen, wenn der eine oder andere es sich noch einmal anhört.“ Pause. „Oder Freunden vorspielt, für die es neu ist.“

Und dann folgte noch einmal der Podcast vom zurückliegenden Samstag.

Ich kann gar nicht sagen, was mir an diesem Merkel-Move am besten gefällt. Ihr „für die es neu ist“? Dieses anschließende Millisekunden-Lächeln, als wollte sie „Film ab!“ rufen? Ihre pragmatische Aufmerksamkeitsökonomie? Die Didaktik?

Was ich sicher weiß: Merkels Ich-sag’s-einfach-noch-mal erinnert mich an meinen früheren Physiklehrer in der Polytechnischen Oberschule, Berlin (Ost). Herr Herrmann sah seine Aufgabe im Prinzip darin, uns die Gesetze der Naturwissenschaft zu verklickern. Wenn er einen guten Tag hatte, tat er dies anschaulich. Wenn nicht, warf er gern mal den Tafelschwamm quer durch den Klassenraum und rief: „Hefter raus, Leistungskontrolle!“ Was er aber nie, wirklich nie tat, war, sich auf Diskussionen über den Unterrichtsinhalt einzulassen. Physikalische Gesetze waren kein Debattenraum, keine Abwägungsfragen. Sie galten. Physik ist eine Wissenschaft, nach deren Gesetzen man sich besser richten sollte. Andersherum läuft nix.

Frau Herrmann der Republik

Für eine Schülerin wie mich, die es mit den Naturwissenschaften eher nicht so hatte, aber Nichtverstandenes gern breitflächig zuzuquatschen pflegte, war Herr Herrmann deshalb ein Riesenproblem. Ob Mechanik, Optik oder Thermodynamik – Herr Herrmann erklärte den Stoff ein-, zwei-, vielleicht dreimal. Danach war Schluss. Dass ich am Ende mit einer Physik-Drei die Schule verlassen habe, war im Grunde nur seiner Menschenfreundlichkeit zu verdanken.

Heute ist die Physikerin Angela Merkel quasi die Frau Herrmann der Republik. Masken? Abstand? Reisen? Lüften? Das permanente Hinterfragen von Grundlegendem, von persönlichen Grenzen und Zumutbarkeiten im Fall einer globalen Epidemie ist so gesehen nichts anderes als mein quengeliges Rumgequatsche dunnemals in Ostberlin. Herr Herrmann pflegte mich dann immer abzuwürgen und mich – statt sich zum x-ten Male zu wiederholen – einer kurzen Leistungskontrolle zu unterziehen. Schülerinnen wie mich hatte er in seinem Lehrerleben kommen und gehen sehen. Und mit seinem fliegenden Tafelschwamm hat er mir Einsicht in Notwendigkeiten beigebogen.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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