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Merkels SelbstkritikNicht die Zeit für R2G-Lob

Kommentar von Stefan Alberti

Die Absage der Osterruhe erwischte die Landespolitik kalt. Eine geplantes Resümee von mehr als vier Jahren Rot-Rot-Grün fiel aus Pietätsgründen aus.

Kanzlerin Merkels Absage der erst Montag vereinbarten Osterruhe kam für Berlin unerwartet Foto: dpa

I n einem schwarzgrauen Neubau an der Spree wollten Michael Müller (SPD), Klaus Lederer (Linke) und Ramona Pop (Grüne) über fast viereinhalb Jahre Rot-Rot-Grün räsonieren, der Regierende Bürgermeister und seine beiden Vizes also. Die Location war mutmaßlich auch wegen ihres Namens gewählt, der in weißen Lettern an der Außenhülle prangt: Hier, im „Futurium“ neben dem Hauptbahnhof hätte es absehbar jede Menge Selbstlob von den dreien gegeben, die zwar nicht die Vorsitzenden der drei Koalitionspartner, aber ihre führenden Köpf im Senat sind. Es wäre auch eine gute Gelegenheit gewesen, jüngste Kritik der Industrie- und Handelskammer am rot-rot-grünen Senat zu kontern.

Zur großen Überraschung selbst im innersten Kreis der Senatskanzlei kam es nicht dazu. Dort nahm man noch nach 11 Uhr an, dass es bei der kurzfristig anberaumten weiteren Konferenz der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel am Vormittag nur um eine Konkretisierung der Osterruhe drehen würde. Dazu aber kam es nicht. Was vielmehr kam, war ihr eindrucksvolles „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler“-Eingeständnis mit der Absage der Osterruhe. Unter diesen Umständen hielt man es, wie von einer davon sogar leicht geschockt wirkenden Senatssprecherin vor dem Futurium zu erfahren war, für nicht sonderlich passend, über rot-rot-grüne Erfolge zu reden.

Die Dramatik der Szenerie verstärkte, dass das von Wissenschaft, Wirtschaftsunternehmen, Stiftungen sowie der Bundesregierung getragene „Futurium“ nicht bloß neben dem Hauptbahnhof, sondern auch kaum 500 Meter entfernt vom Kanzleramt steht, also dem Schauplatz von Merkels knapp vierminütiger Rede. Wer um Punkt halb eins durch das Gitter direkt vor dessen an eine Waschmaschine erinnernden Hauptfront guckte, konnte, wenn auch ein paar Dutzend Meter weg, Merkel zu ihrem Redepult gehen sehen, angestrahlt von einem Scheinwerfer hoch oben im Raum.

Zurück blieben ungehaltene Redebeiträge von Müller, Lederer und Pop – die mutmaßlich zeitnah doch noch zu hören sein werden. Und auch die nicht bloß bei einer Pressekonferenz im „Futurium“ anstehende Frage, ob Rot-Rot-Grün nach der Abgeordnetenhauswahl noch eine Zukunft hat.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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