Merkel und Wulff: Sein Abgang ist ihre Niederlage
Angela Merkel ist erleichtert. Jetzt muss sie den Schaden begrenzen. Jetzt will sie einen Konsens-Präsidenten, um ein Signal für die große Koalition zu setzen.
Im Verabschieden von Bundespräsidenten hat Angela Merkel inzwischen Routine. Um halb zwölf geht sie im Kanzleramt mit schnellen Schritten zu den Mikrofonen, stellt sich vor die Wand mit dem Bundesadler und liest mit ernster Miene eine Erklärung vom Blatt. 14 Sätze, ein paar Minuten, mehr braucht sie nicht. Abgang Merkel, Fragen sind nicht erlaubt. Eine halbe Stunde zuvor hat Christian Wulff im Schloss Bellevue neben seiner Frau seinen Rücktritt erklärt.
Erst Horst Köhler, jetzt, keine zwei Jahre später, Christian Wulff - in Merkels Ära fallen die beiden einzigen echten Rücktritte von Präsidenten in der bundesdeutschen Geschichte. Nie war das höchste Staatsamt bedeutungsloser.
Nicht nur Christian Wulffs, auch Merkels Bilanz in Sachen Präsidentenamt ist ein Desaster. Wulff war ihr Präsident, sein Abgang ist auch ihre Niederlage.
Egoistische Motive
Es waren vor allem egoistische Motive, aus denen sie ihn im Jahr 2010 ins Amt hob. Sie sah die Chance, einen ihrer letzten Konkurrenten wegzuloben. Außerdem, so kalkulierte Merkel damals, sollte es nach dem überraschenden Rückzug des ehemaligen IWF-Chefs Köhler ein politischer Vollprofi sein, der die Logik von Parteien und die der Berliner Arena versteht. Auch wegen dieser Vorgeschichte stellte Merkel sich so lange hinter Wulff.
Und sie verkneift sich auch am Ende jeden Hauch einer Kritik. Ihre Sätze zum Abschied klingen, als verabschiede Merkel einen honorigen Staatsmann und keinen raffgierigen Gescheiterten, der am Glamour der Reichen teilhaben wollte, obwohl er ihn sich nicht leisten konnte.
Sie spielt auf Wulffs Islam-Satz an, indem sie seinen Einsatz für ein offenes Deutschland hervorhebt. Sie übergeht den beispiellosen Vorgang, dass bald ein Staatsanwalt gegen Wulff ermitteln wird, indem sie dessen uneigennützigen Rückzug lobt.
Und noch etwas ist bemerkenswert: Merkel erwähnt und dankt ausdrücklich Wulffs Frau Bettina. Mit ihr hatte sie bei einem Empfang im Bundespräsidialamt vor kurzem noch gescherzt, als sie ihn keines Blickes mehr würdigte. Bettina Wulff war ein wichtiger Teil von Merkels Erzählung, dass erstmals eine Familie mit Kindern in die Residenz des Bundespräsidenten einziehe.
Doch auch wenn die nüchterne Kanzlerin die Form bis zuletzt wahrt, wie es ihre Art ist: Die Kapriolen des Bundespräsidenten beobachtete sie mit wachsender Ungeduld. Schon allein weil sie ein anderes Naturell besitzt. Merkel lässt bei Gesprächen mit Journalisten gern Erbsensuppe servieren, sie erholt sich in Templin und musste sich ihr Unbehagen auf roten Teppichen abtrainieren. Wulffs Welt des geschenkten Luxus, die sich der staunenden Öffentlichkeit offenbarte, sieht sie mit Befremden.
Ihre Verteidigung Wulffs fiel deshalb immer schmallippiger aus. Erst richteten ihre Sprecher noch aus, Wulff genieße ihr vollstes Vertrauen. Daraus wurde im Laufe der Zeit das volle Vertrauen, dann große Wertschätzung. Als die Anrufe Wulffs in der Springer-Führungsetage bekannt wurden, ließ Merkel in der Bundespressekonferenz eine Belehrung zur Pressefreiheit verlesen, quasi von Verfassungsorgan zu Verfassungsorgan - ein beispielloser Rüffel.
Für die Kanzlerin ist der viel zu späte Rücktritt Wulffs deshalb ambivalent. Er ist nicht nur eine Niederlage, sondern auch eine Erleichterung. Jetzt kämpft sie mit aller Macht darum, den Schaden zu begrenzen. Sie sagte am Morgen den geplanten Rom-Besuch bei Italiens Regierungschef ab. Sie telefonierte mit den Partei- und FraktionschefInnen von SPD und Grünen, am Samstag trifft sie die Parteivorsitzenden von FDP und CSU, Philipp Rösler und Horst Seehofer.
Nach zwei gescheiterten Alleingängen setzt Merkel nun auf Konsens. Wie ernst es ihr damit ist, bewies sie schon in ihrem Statement. Man wolle jetzt einen "gemeinsamen Kandidaten", kündigte sie an. Das ist ein Versprechen, welches dem Zwang der hauchdünnen eigenen Mehrheit folgt, vor allem aber der Logik von Merkels Machtperspektiven.
Denn für Merkel gilt hier ein abgedroschener Satz: Jede Niederlage birgt eine Chance. Die Kanzlerin will ein Signal für die kommende Bundestagswahl setzen. Angesichts der fortgesetzten Selbstzerstörung der FDP glauben nur noch die hartnäckigsten Optimisten in der Koalition an eine Neuauflage von Schwarz-Gelb.
Wahlen als Vorboten von Wechseln
Merkel, die äußerst gern Kanzlerin ist, braucht deshalb ab 2013 einen anderen Partner, will sie an der Macht bleiben. Ein gemeinsamer Präsident wäre zwar kein zwingendes Präjudiz für eine große Koalition, aber Präsidentenwahlen waren immer mal wieder Vorboten von Wechseln. Die Wahl Gustav Heinemanns im Jahr 1969 nahm die sozialliberale Koalition vorweg. Auch Horst Köhler - Merkels Mann - wurde 2004 gewählt, als Rot-Grün in den letzten Zügen lag. Kurz darauf führte die Kanzlerin eine große Koalition an.
Die nächsten Wochen werden für Merkel zu einer Gratwanderung. Sie muss einen Kandidaten finden, der mindestens für die SPD, wenn nicht auch für die Grünen wählbar ist. Sie darf jedoch die FDP nicht vor den Kopf stoßen. Die marginalisierten Freidemokraten sind in Merkels Rechnung zwar überflüssig, dürfen sich aber nicht so fühlen.
Als ob dies nicht kompliziert genug wäre, liegen auch die Anforderungen für den nächsten Präsidenten hoch. Er oder sie muss das Amt neu beleben. Kein zu sichtbares Parteiticket, gern ein intellektueller Freigeist, es wäre höchste Zeit für eine Frau. Merkel muss ein arithmetisches Kunststück vollbringen.
Dabei wird ihr die Vorstellung zuwider sein, sich mit SPD-Chef Sigmar Gabriel eng abstimmen zu müssen. Immer noch wirkt ein Erlebnis aus der vergangenen Präsidentenwahl nach. Gabriel hatte Merkel damals per SMS Joachim Gauck als Kandidaten vorgeschlagen. Ihre Antwort-SMS druckte später der Spiegel Wort für Wort ab. Die Kanzlerin war not amused. Solche Befindlichkeiten haben bei Merkel jedoch noch nie eine Rolle gespielt. Zumindest dann nicht, wenn es darum geht, eine Niederlage in einen Sieg umzumünzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins