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Menschheitsfragen und KIDDR-H-Milch und der Markt von Milet

Gibt die KI Antworten? Nein, sie gibt bis zur Unkenntlichkeit verdaute Daten, die durchaus passen können. Oder auch nicht.

Touristen auf der Treppe vor dem Pergamonmuseum im August 1988 Foto: Rolf Zöllner/imago

W ir hatten ja nichts! Und so stürmten wir in die oberste Etage des Centrum Warenhauses am Alexanderplatz. Die Klassenfahrt fand hier ihre ganze Erfüllung. H-Milch. 250 Milliliter, in drei Geschmackssorten erhältlich. Aber nicht in Rostock. „Tor zur Welt“ war der Beiname der Bezirksstadt mit dem Überseehafen. Berlin jedoch war „Hauptstadt der DDR“. Hier gab es beinahe alles, auch Tore. Ishtar und den Markt von Milet zum Beispiel, im Pergamonmuseum. Da waren wir grad gewesen. Ich hatte einen Vortrag gehalten. Wikipedia gab’s noch nicht zum Abschreiben und kein ChatGPT als Formulierungshilfe, dafür aber Meyers Kleines Lexikon. Das Jahr war 1987. Oder 1988?

Ist ja nicht so wichtig. Im Zeitalter sogenannter künstlicher Intelligenz freuen wir uns doch über halbwegs plausible Näherungswerte! Immerhin teile ich hier meine selbst erlebten Erinnerungen und nicht so einen mit statistischen Methoden zusammengerechneten Maschinenfurz. Was kommt es da auf ein Jahr an, bitteschön? Ishtar-Tor und der Markt von Milet stehen wirklich auf der Museumsinsel. Nicht dass es irgendeinen Sinn ergibt, diese aus unterschiedlichen Zeitaltern stammenden und der Herkunft nach 2.000 Kilometer auseinander liegenden Orte Rücken an Rücken zu kleben. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie mit „Erlaubnis der Behörden des osmanischen Reiches“ nach Deutschland geklaut wurden. Schwamm drüber.

Heißt ja nicht umsonst Babylon-Berlin. Das hätte keine KI besser halluzinieren können.Obwohl, halluzinieren ist das falsche Wort. Zu menschlich. Schon lustig, wie An­thropomorphie funktioniert. In jedem Haustier sehen wir uns selbst. Und so einem mit Lametta behängten Taschenrechner stellen wir also Fragen. Die Maschine gibt „Antworten“.

Seltsame Drogen

Nein, tut sie nicht. Es handelt sich um Ausgaben von Ergebnissen umfangreicher Rechenoperationen, die Wahrscheinlichkeiten gegeneinander abwägen. Beim Abgleich mit der materiellen Realität können diese Ausgaben durchaus passen. Oder grade nicht. Es sind eben nur zufällige Mengen im bewusstseinsleeren Raum. Wir lassen doch auch nicht herz- und hirnlose Entitäten darüber abstimmen, ob 2+2 wirklich 4 oder Asyl ein Menschenrecht ist. Ups.

Wir halluzinieren derweil, dass ein paar Schaltkreise kurz vorm Durchbruch zur selbst-bewussten Lebensform stehen. Seltsame Drogen nehmen wir. Hilft es vielleicht beim Entzug, sich vorzustellen, dass ChatGPT gar kein Gesicht hat, und statt dessen aus einem anderen Körperteil zu uns spricht? Ich mein, was da raus kommt, sind schließlich bis zur Unkenntlichkeit verdaute Daten.

Irgendwann wird ein statistisches Modell vor dem Pergamonaltar noch ein Bild der Pyramiden von Gizeh rendern, und zwar als DDR-H-Milch-Tüten. Obwohl die ja Tetraeder waren, also schon von der Grundfläche her… Egal. Ich hab damals jedenfalls keine abbekommen. War zurückgefallen, um mir bei der Lehrerin Lob für meinen Vortrag abzuholen. Hatte sonst ja nichts.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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7 Kommentare

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  • Ihren Artikel über die menschlichen Fragen und die Rolle der KI habe ich mit großem Interesse gelesen. Allerdings möchte ich eine essenzielle Anmerkung zu Ihrer Darstellung der H-Milch-Tüten in der DDR machen. Es ist wissenschaftlich nachweisbar, dass die Form dieser Verpackungen tatsächlich dem Euter eines Rindes nachempfunden war.

    Die Form einer H-Milch-Tüte kann durch die Gleichung des Volumens eines Rotationskörpers beschrieben werden:

    [ V = \pi \int_{a}^{b} (f(x))^2 , dx ]

    Hierbei könnte ( f(x) ) eine Funktion darstellen, die die Konturen eines Euters nachzeichnet. Wenn wir nun die Konturen eines typischen Rindereuters betrachten, können wir diese Funktion durch geeignete Parameter anpassen.

    Die Euterform hat sich durch die Evolution als ergonomisch und funktional für die Milchproduktion etabliert. Die Abbildung dieser Form in der Verpackung könnte als strategisches Marketingkonzept interpretiert werden, um eine emotionale Verbindung zur Natur und zur traditionellen Landwirtschaft herzustellen.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die H-Milch-Tüten in der DDR nicht nur ästhetisch, sondern auch funktional in ihrer Formgebung den Eutern nachempfunden waren.

    • @Hoagie:

      Funktional? Dann müssen Euter wohl auch mit 'ner Schere am Zipfel geöffnet werden und sind furchtbar schwer zu greifen bzw. der Inhalt zu dosieren ... Mit einer Kuh hab ich die Dinger jedenfalls nie assoziiert.

  • Sorry aber bei dem Geburtsdatum und der Jahreszahl glaube ich nicht an einen Vortrag im Pergamon Museum. Ki hin oder her….

    • @olim devona:

      Wieso nicht? Irgendwas vor der eigenen Schulklasse salbadern zu müssen ist doch gar nicht so ungewöhnlich, Museum hin oder her.

  • "Ich mein, was da raus kommt, sind schließlich bis zur Unkenntlichkeit verdaute Daten."



    Wenn man es genau nimmt, ist das, was da rein kommt, größtenteils ebenfalls bereits verdautes Geraffel - das wenigste ist tatsächlich blanke Datenmasse. Stattdessen hat sich irgendwer ein paar Informationen zu Gemüte geführt, gedanklich durchgekaut, das Ganze mit mehr oder weniger passenden Erfahrungen gewürzt und dann schriftlich wieder ausgeschieden - und das Ganze ist dann millionen- und milliardenfach geschehen, auch unzählige Male hintereinander zum selben Thema. Und all *diese* Ergüsse sind dann das Futter einer KI.



    Am besten zu sehen war das im Falle einer Support-KI, die ihren Nutzern plötzlich das Rick-Astley-Video im Tarnmantel eines Video-Tutorials verpasste.



    techcrunch.com/202...t-rickroll-people/

  • Ja, man sollte KI nicht überbewerten. Habe beim Testen nicht nur einmal falsche Infos bekommen.

    Eine Internetsuche und die Fähigkeit, die Ergebnisse zu bewerten, ist im Zweifel allemal verlässlicher.

  • "Es handelt sich um Ausgaben von Ergebnissen umfangreicher Rechenoperationen, die Wahrscheinlichkeiten gegeneinander abwägen. Beim Abgleich mit der materiellen Realität können diese Ausgaben durchaus passen. Oder grade nicht." Ok, also genau wie bei menschlichen Antworten auch.