Menschenrechtsverletzungen: Bulgarinnen sagen zu Folter aus
Die jahrelang in Libyen inhaftierten Krankenschwestern wollen nun vor Gericht ziehen.
BERLIN taz Der Fall der jahrelang in Libyen inhaftierten fünf bulgarischen Krankenschwestern und des palästinensischen Arztes ist für Bulgarien offensichtlich noch nicht erledigt. Gestern äußerten sich zwei der Betroffenen vor einer Untersuchungskommission in der bulgarischen Hauptstadt Sofia zu "seelischer und körperlicher Gewaltausübung" im Gefängnis, wie das staatliche bulgarische Radio berichtete. Auf der Grundlage dieser Zeugenaussagen will Sofia eine Klage gegen die libyschen Offiziere anstrengen, die die Inhaftierten gefoltert haben sollen, wie die Staatsanwaltschaft in Sofia mitteilte. Dieses sei die Antwort Bulgariens auf die Justizfarce in Libyen.
Nach Angaben der Sofioter Nachrichtenagentur Novinite räumen Experten der Klage kaum Chancen auf Erfolg ein, da sie zu spät komme. Die bulgarische Justiz ermittelt bereits seit Januar dieses Jahres gegen elf libysche Beamte wegen des Verdachts auf Folter.
Die Krankenschwestern und der Arzt, der mittlerweile bulgarischer Staatsbürger ist, waren 1999 verhaftet und beschuldigt worden, in einer libyschen Klinik in Bengasi über 400 Kinder absichtlich mit dem HI-Virus infiziert zu haben. Im Mai 2004 wurden die Angeklagten zum Tode verurteilt. Im Dezember 2006 bestätigte ein Berufungsgericht den Schuldspruch. Im vergangenen Monat wandelte der Oberste Richterrat Libyens die Todesstrafen in lebenslängliche Haft um - kurze Zeit nachdem eine Vereinbarung über Entschädigungszahlungen in Höhe von rund 400 Millionen Dollar an die Familien der Opfer erzielt worden war. Am 24. Juli wurden die Betroffenen nach Bulgarien überstellt und dort umgehend begnadigt. Einen Tag später reiste Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy nach Tripoli und vereinbarte mit Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi mehrere Handelsabkommen - darunter über die Lieferung eines Atomreaktors und Panzerabwehrraketen im Wert von 168 Millionen Euro.
Bereits im ersten Prozess hatten die Krankenschwestern ausgesagt, dass ihre Geständnisse unter Folter zustande gekommen seien. Diese Vorwürfe wurden lange von Libyen dementiert - aber vor kurzem von Gaddafis Sohn Saif al-Islam Gaddafi, der im Konflikt um die inhaftierten Mediziner zwischen Libyen und der EU vermittelt hatte, bestätigt. Die Inhaftierten seien mit Strom gefoltert und ihren Familien gedroht worden, sagte Gaddafi in einem Interview mit dem arabischen TV-Sender al-Dschasira. Die Polizei habe unprofessionell gearbeitet und den Prozess von Anfang an manipuliert. Die Untersuchung sei unpräzise und wissenschaftlich nicht ausreichend belegt gewesen. Allerdings sei das Verfahren im Kontext gegenseitiger Erpressungsversuche zu sehen, mit denen Libyen begonnen habe.
"Dass Gaddafi die Wahrheit gesagt hat, stellt uns sehr zufrieden", sagte Snezana Dimitrova, eine der inhaftierten Schwestern, gestern. Die nächsten Anhörungen vor der Untersuchungskommission sollen im September stattfinden.
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