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Memminger Prozeß auf dem Prüfstand

■ Bundesgerichtshof verhandelt über Urteil im Abtreibungsprozeß gegen Horst Theissen/ Revisionsverfahren beginnt heute in der Frage, war die Kammer rechtmäßig besetzt, als sie Befangenheitsanträge gegen Richter als unbegründet zurückwies

Berlin (taz/ap) — Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) beginnt am heutigen Dienstag die Revisionsverhandlung zum Memminger Urteil gegen Horst Theissen. Der Frauenarzt war am 5. Mai 1989 vom Landgericht Memmingen wegen illegaler Abtreibung in 36 Fällen zu zweieinhalb Jahren Haft und drei Jahren Berufsverbot verurteilt worden. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidiger Theissens haben Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Das Memminger Mammutverfahren, der größte Abtreibungsprozeß der bundesdeutschen Rechtsgeschichte, hatte 1989 als „Hexenprozeß“ Aufsehen erregt und heftigen Protest hervorgerufen. So waren 79 Frauen, teils unter Androhung von Beugehaft, in den Zeugenstand gezwungen worden, wo sie die Gründe für ihren Schwangerschaftsabbruch hatten darlegen müssen. Mehr als 150 Frauen und rund 60 Männer hatten Strafbefehle zwischen 700 und 3.200 Mark wegen illegaler Abtreibung beziehungsweise Beihilfe erhalten. Heute wird der BGH zunächst nur darüber verhandeln, ob die Memminger Strafkammer rechtmäßig besetzt war, als sie mehrere Befangenheitsanträge gegen einzelne Richter als unbegründet zurückwies. Bei den Entscheidungen der Kammer hatten jeweils Richter mitgewirkt, die sich gegenseitig ihre Unbefangenheit bescheinigten, obwohl einige von ihnen zuvor selbst — vergeblich — abgelehnt worden waren. Damit hätten sie unzulässig in eigener Sache entschieden, rügt die Verteidigung.

„Befangenheits- karussell“

Wenn der BGH sich heute über diesen Teilaspekt der Revision des Theissen-Verfahrens den Kopf zerbricht, dann hat er eigentlich schon eine Vorgabe aus dem eigenen Hause. Im Dezember 1983 hatte der BGH bereits darüber geurteilt, ob und wann ein Richter den anderen als befangen oder nicht befangen einstufen darf. Er kam dabei zu dem durchaus logischen Schluß, daß ein Richter zumindest nicht über seine eigene Objektivität befinden darf.

Von dieser höchstrichterlichen Entscheidung, so die Verteidiger Theissens, habe das Memminger Landgericht, trotz mehrmaliger Hinweise, keine Notiz genommen. Es löste einen Kreislauf aus, der dann spöttisch „das Befangenheitskarussell“ genannt wurde. Die Verteidigung hatte den Vorsitzenden Richter Barner und Richter Detlev Ott wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil sie ein Ermittlungsverfahren gegen Theissen aus dem Jahr 1979 wegen Verstoßes gegen den §218 erwähnten, das ihm, so Barner, „als Warnschuß“ hätte dienen müssen. Aus diesem eingestellten Verfahren war Theissen als unschuldig hervorgegangen. Seine Anwälte schlossen aus dieser Bemerkung messerscharf, daß das Gericht voreingenommen und deshalb befangen war. Die drei Richter einer anderen Kammer lehnten diesen Befangenheitsantrag als unbegründet ab. Im nächsten Zug bezweifelte die Verteidigung dann die Unbefangenheit dieses Gremiums. Das Ganze geriet zur Absurdität, als nun wiederum Barner und Ott diesen drei Kollegen ihre, und damit ihre eigene, Objektivität bestätigten. Die Spirale der abgelehnten Richter summierte sich zuletzt auf vierzehn, der Vorrat des Memminger Landgerichts an sich gegenseitig für unbefangen erklärenden Richtern war damit erschöpft, das Oberlandesgericht in München mußte aushelfen. Ein heilloses Durcheinander.

Der verstorbene Verteidiger von Horst Theissen, der in seiner Präzision unvergessene Sebastian Cobler, schrieb den Memminger Richtern seine Sicht der Dinge ins Stammbuch. Der Bundesgerichtshof habe „in unmißverständlicher Deutlichkeit und Schärfe“ erklärt, „welches prozessuale Schicksal Richtern zwangsläufig beschieden ist, die mit Befangenheitsanträgen so umgehen, wie das nun in Memmingen geschehen ist.“ Über diesen Teil der Verfahrensrüge der Verteidigung soll heute in Karlsruhe entschieden werden — und damit auch über die Rechtmäßigkeit der weiteren fünf Monate des Verfahrens, die Richter Ott amtierte, ehe er aus anderem Grunde sein Amt niederlegte. Ott, der sich durch besonders peinliche Befragungen der Zeuginnen einen Namen gemacht hatte, mußte zugeben, daß seine eigene Freundin 1980 abgetrieben hatte. In einer Dienstlichen Erklärung bestreitet er, sie dazu gedrängt zu haben. Er habe bei dem Beratungsgespräch mit dem Arzt nur „mehr gesprochen“ als sie. Für befangen hielt er sich nicht. Heide Platen

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