village voice: Melodien für Millionen aus dem Hinterhof: Das Flittchen-Label supportet das Fucky-Label mit einem Sampler
EINIGEN WIR UNS AUF DEN HYPE
„Don’t believe the hype!“ ist ein alter Spruch mit ewiger Gültigkeit. Er funktioniert jedoch nur, weil er wie alle guten Sprüche extrem eindimensional ist. Er unterschlägt, dass den Hypes geglaubt werden will (sonst würden sie nicht funktionieren); und er spart sich Antworten auf die Frage, ab wann ein Hype kein Hype mehr ist und sich zu was wirklich Handfestem und Substanzvollem ausgewachsen hat. Auch in Sachen Neuer Berliner Pop-Schule lässt sich das mit dem Hype nicht mehr so richtig benennen und ausklamüsern.
Schreiben doch Christiane Rösinger und Almut Klotz in dem Info zu ihrer neuesten und sechsten Flittchen-Records-Veröffentlichung, dass „über das Neue Berlin jenseits der Neuen Mitte und die Vernetzungsstrukturen der legendären Tagesbars und Hinterhofaktivisten schon hinlänglich spekuliert“ worden sei. „Man kann’s nicht mehr hören“, schicken sie noch hinterher. Schaut man sich aber an, wie es zur Veröffentlichung dieses „Fucky-Laibel“-Samplers kam, hört man seine Songs und Sounds, ist gerade diese Veröffentlichung ein Extrakt aus allem, was die letzten Jahre in den Hinterhöfen entstanden ist, ein Paradebeispiel an Vernetzung und gemeinsamen Aktivitäten vorbei am schönen neuen Berlin.
Ein kleines Label unterstützt ein noch kleineres Label: Flittchen Records supports Fucky, die einen machen die CD und ein bisschen Promotion, die anderen das Vinyl. Flittchen, das Label, die Bar, gehört den beiden ehemaligen Lassie Singers Christiane Rösinger und Almut Klotz, die sich damit neben ihren neuen Bands Britta und Maxi einen neuen Inhalt im Post-Lassie-Singers-Leben gegeben haben.
Und Fucky ist das Label von Alex Bechberger und der Comic- und Kleine-traurige-Mädchen-Malerin Evelyn. Beide spielen bei der Band Minitchev, beide lieben komische, kleine Indiemusik aus dem Strebergarten, beide bringen auf ihrem Label bevorzugt kleine und große Vinylscheiben heraus.
Zusammen mit den beiden Flittchen haben sie nun alle vier ihre Freunde gefragt, ob die nicht Lust hätten, bei einer „Fucky-Laibel“-Compilation mitzutun. Gefragt, getan: Auf dem Album „Fucky Don’t CD“ befindet sich neben Musikern aus Weilheim, Hamburg oder der Schweiz ein Großteil der Leute aus dem Umfeld der Neuen Berliner Schule: Neoangin, Jeans Team, Komeit, Doc Schoko, To Rococo Rot, Milch, Miriam und mehr. Manche bekannter und mit Ambitionen, manche nicht so bekannt, auch mit Ambitionen, aber anderen, als man sie so kennt.
Es fällt schwer, bestimmte Songs hervorzuheben: Schön sind sie fast alle, und so, wie sie in kürzester Zeit mit dem bescheidensten Equipment produziert wurden, haben sie natürlich höchste Strangeness-Werte. Dazu kommen Melodien für Millionen, Pop für ein paar wenige und die goldenen Achtziger, und weiter kann’s gehen mit den „Spekulationen“ um die „legendären Hinterhofaktivisten“. Legendär? Mitnichten. Man musiziert ja munter weiter. Ein Hype? Mitnichten.
So viele Jahre, wie der jetzt schon geht, steckt da mittlerweile eine Menge Substanz drin. Das wissen auch die beiden Flittchen-Label-Macherinnen. Doch sie wissen auch, dass es gut kommt, sich zu distanzieren, obwohl man mittendrin steckt in den Vernetzungen jenseits der neuen Mitte. Eigentlich arbeiten sie ja nur allzu gern weiter an dem Hype, der keiner ist. Und das ist gut so: Denn mit Alben wie diesen einigt man sich immer noch am liebsten auf die Zukunft. GERRIT BARTELS
Diverse: Fucky Don’t CD (Flittchen Records/Efa)
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