■ Nachschlag: Melancholische Silhouetten: Portishead in der Arena
Alle Welt liebt sie, kauft ihre Platten, geht zu ihren Konzerten. Und als ob das nicht genug wäre, schwang sich sogar das Wetter am Freitag zum Stimmungsmacher für das Portishead-Konzert in der Arena auf: Es stürmte und regnete, daß es nur so zum Haareraufen und Miesepetern war – Bristol-Wetter par excellence.
Skepsis schien im Vorfeld ja angebracht: Musik, die eigentlich am besten zu Hause oder in einem intimen, kleinen Club ihre Wirkung entfaltet – nun in einer Halle vor fünf- oder sechstausend Leuten? In einer Halle, die früher als BVG-Depot diente und diesen Charme auch in ihre neue Existenz hinübergerettet hat? Selbst Sängerin Beth Gibbons schien sich ihrer Sache anfangs nicht ganz sicher, als sie bei ihrer Publikumsbegrüßung meinte, dieses Konzert sei das größte, das sie je gegeben hätten, und angesichts der vielen Leute sei sie schon ziemlich ängstlich.
Tatsächlich gelang es Portishead, ihren „düster-melancholischen Zeitlupenzauber“ (Aspekte) auch an diesem Ort zu versprühen. Während Beats und Streicher aus der Dose kamen, spielte die Band in konventionellem Band-Line-up mit Gitarre, Schlagzeug, Standbaß und natürlich Gesang. Der Sound stimmte, auch die zumeist dunkle und die Bandmitglieder nur als Silhouette kenntlich machende Beleuchtung. Nach spätestens drei Stücken hatten Portishead eine reichlich entspannte und intime Atmosphäre hergestellt.
Mein schon ziemlich zugerauchter Freund Piepenbrink äußerte zwar die Befürchtung, wenn er sich noch einen Joint baue, könnte die Musik schon wieder viel zu schnell für ihn sein, doch: so wenig Bewegung in einer so großen Crowd war nie, soviel Andacht auch nicht. Stille Einkehr oder Abfeiern von Zweisamkeit. Wer allein da war, beneidete die zahlreichen Pärchen, die sich eng umschlungen, knutschenderweise und langsam im Takt bewegten; wer einfach mit Freunden da war, durfte feststellen, daß Beth Gibbons mit ihrer hellen, klaren und durchdringenden Stimme vielleicht wirklich „die größte Sängerin der Neunziger“ ist. „Nobody loves you“ sang sie gegen Ende, und damit kann man ein Leben lang beschäftigt sein, ohne jemals zu erfahren, warum dem so ist. Betroffenheitslyrik der Siebziger im Soundgewand der Neunziger. Portishead retten Leben und spenden Trost, und wahrscheinlich muß man beim zukünftigen Betreten der Arena immer an sie denken, denn so lauschig wird es dort nie, nie wieder sein. Schnief. Gerrit Bartels
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen