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Meister des Motivs

FILMMUSIK Das Kino Arsenal widmet Krzysztof Komeda, einem der großen europäischen Komponisten der 60er Jahre, eine Reihe

Szene aus „Cul-de-sac“/„Wenn Katelbach kommt …“ von Roman Polanski (1966) Foto: Arsenal

von Jenni Zylka

Im Restaurant nimmt der Kellner die Gabel, schlägt sie auf den Tisch, hält sie ans Ohr und hört tatsächlich einen Akkord. Später stehen Männer mit selbst gebastelten Zeitungshüten bildfüllend vor der Kamera und wischen an Wassergläserrändern ein ohrenbetäubendes Fiepkonzert. In „Bariera“, Jerzy Skolimowskis 1966 entstandenem absurden Mutwerk der polnischen Nouvelle Vague, geht es – neben anderen Dingen – um die Musikalität von Sound.

Am Ende jedoch wird die Protagonistin, eine Straßenbahnfahrerin im verschneiten polnischen Winter, mit einer schönen Melodie umschmeichelt – eine Frauenstimme singt sphärisch und jazzharmonisch ein „Lalala“. Versöhnlich klingt das fast in Skolimowskis an allen Brennpunkten der wütenden polnischen Jugend rüttelnder, experimenteller Gesellschaftsbeobachtung.

Ein paar Jahre später sang Mia Farrow jenes leicht geisterhafte „Lalala“ – natürlich nicht zur gleichen Melodie. Aber Skolimowski hatte sich für das „Scoring“ seines Films den Jazz- und Filmmusiker Krzysztof Komeda ausgesucht – der wenig später vor allem durch die Musik zu Roman Polanskis Filmen weltberühmt wurde. Zu „Rosemary’s Baby“, der sowohl für Polanski seinen Durchbruch als Regisseur in den USA als auch für die erstmalig mit ihrem Signature-Pixie-Cut aufspielende Mia Farrow den ersten großen Erfolg als Schauspielerin bedeutete, komponierte Komeda ebenfalls ein melancholisches „Lalala“-Motiv, das in seiner Verlorenheit hervorragend zum ätherischen Körper von Farrow passte.

Arzt und Jazzer

Der „Meister des Motivs“ sei Komeda gewesen, sagten seine Regisseure: Er habe erst eine Melodie komponiert, um diese dann langsam während des Films zu verändern, sie von Dur zu Moll sowie in andere Tonarten zu transponieren, sie zu verlangsamen, zu beschleunigen, sie auseinanderzunehmen, um sie am Ende wieder voll und schön zu präsentieren.

Das Arsenal ehrt den Filmmusiker mit einer zauberhaften 14-teiligen Filmreihe fast ausschließlich aus dieser aufregendsten polnischen Filmepoche: Der 1931 geborene Komeda, der zuerst unter seinem bürgerlichen Namen Trczinski als HNO-Arzt arbeitete, entdeckte als begnadeter Pianist die Jazzmusik, die Polens Gegenkultur der 50er definierte. Regisseur Roman Polanski bat ihn, seine ersten Kurzfilme (ebenfalls zu sehen) musikalisch zu begleiten – fortan komponierte Komeda jeden Score seines Freundes (bis auf die Musik zu „Ekel“).

Polanski holte ihn in die USA, um jene Ira Levin-Verfilmung zu begleiten, die Polanskis größter Erfolg werden sollte. Nach der Fertigstellung von „Rosemary’s Baby“ arbeitete Komeda noch für einen US-amerikanischen Film, im Januar 1969 verletzte er sich bei einem Saufgelage mit einem polnischen Literaten-Kumpel den Kopf – angeblich war der kleine blonde Mann von seinem körperlich starken Freund scherzhaft hochgehoben worden und dabei mit dem Kopf auf eine Tischkante geprallt. Komeda fiel ins Koma, wurde auf Anliegen seiner Ehefrau Zofia Komedaowa nach ein paar Monaten nach Polen überführt und starb dort im Krankenhaus. Sein Freund beging ein paar Wochen später Selbstmord.

„Ich glaube, Jazz bietet besonders reiche Möglichkeiten für Filmmusik“, behauptete Komeda bei einem Interview mit dem Jazzexperten Joachim Ernst Behrendt für das deutsche Fernsehen – auf Deutsch, mit jenem typisch polnischen Akzent, der die Umlaute weich macht und aufhellt. Dennoch hat er sich vor allem am Ende seiner elf Jahre dauernden Karriere, in der er mehr als 60 Kurz-, Lang- und Dokumentarfilme begleitete, nicht auf Jazz beschränkt.

„Jazz bietet besondere Möglichkeiten für Filmmusik“

Krzysztof Komeda

Unverständliche Frauen

Das Arsenal zeigt „Sult“ (Hunger) von Henning Carlssen aus dem Jahre 1966 – die beklemmend-schöne Verfilmung des Knut -Hamsun-Romans gleichen Namens über einen hungernden Autor 1890 in Oslo, für die Komeda durch eine minimalistische Instrumentierung eine extrem spannungsreiche, beklemmende Atmosphäre schuf. Auch in Polanskis 1967 entstandener Raffzahnkomödie „Tanz der Vampire“ setzte sich Komeda über den Jazz hinweg und notierte Chorarrangements mit Cembalo und Flöte.

Im „Tanz der Vampire“ konnte man Polanski in einer der Hauptrollen sehen; als ganz junger Filmstudent hat er neben seinem Freund Komeda eine kleine Nebenrolle in Andrzej Wajdas bereits 1960 entstandenem jugendlichen Zeitporträt „Die unschuldigen Zauberer“ – einer der Höhepunkte der Reihe. Wajdas Film, nach einem Drehbuch Skolimowski, erzählt eine Geschichte, die nah an Komedas Leben angelehnt ist. Der Protagonist, der am Tag Arzt und des Nachts Jazzschlagzeuger ist, versucht sich darin an einem sorglosen Hipsterleben samt Bar­aufrissen und Konzerten, bis er eine Frau trifft, mit der die schlagfertige Konversation sexier erscheint als das Bett.

Komedas berückender Score erinnert dazu an den Sound von Ornette Coleman und Miles Davies. In „Pingwin“ dagegen entdeckt ein ungeliebter Außenseiter erstaunt, dass die aus der Ferne Angebetete vielleicht sogar noch tiefere Gefühle hegt als er selbst. Das Nichtverstehen der Frauen zieht sich eh durch die Filme und damit auch das Rollenverständnis der Filmemacher dieser Zeit – seine Sensibilität zeigte der „Man’s man“ Komeda ausschließlich in seiner außergewöhnlichen Musik.

Arsenal, bis 20. 9., Programm unter www.arsenal-berlin.de

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