: Meins, alles meins!
Eugene O'Neills „Desire. Gier unter Ulmen“, inszeniert von Jürgen Kruse am Thalia ■ Von Karin Liebe
Haben oder Sein: Bei Desire. Gier unter Ulmen stellt sich die Frage nicht. Hier geht es nur ums Haben. „Meins, alles meins!“ Abbie, jung und hübsch und frisch verheiratet mit dem 72-jährigen Ephraim, breitet die Arme besitzergreifend vor „ihrem“ Farmhaus aus. „Unser“, wirft der Alte nach einigem Zögern ein. Unverkennbar, dass ihm eigentlich „Nein, meins“ auf den Lippen lag. „Meine Farm“, sagt auch Eben, der jüngste Sohn des Alten. Und dessen zwei Halbbrüder behaupten: „Zwei Drittel gehören uns.“
Warum bloß sind alle auf diese Farm in Neuengland, auf Granitstein gebaut, so scharf? 1850, im kargen amerikanischen Osten, mag das schlichte Anwesen noch einiges wert gewesen sein. Aber heute würde man die Farm nicht mal geschenkt nehmen. Auf der Bühne des Thalia Theaters hat Steffi Bruhn ein kleines einstöckiges Holzhaus gebaut, davor Wassertrog, Schleifstein und Wäscheleine. Quer durchs Parkett zieht sich eine zweite Wäscheleine: Ein paar schäbige Socken hängen daran. Nicht gerade der Stoff, aus dem die Träume sind.
Einen Hauch von Romantik versprühen allenfalls die fast bis zum Boden herabhängenden blutroten Ulmenblätter. Aber sie wuchern so üppig, dass sie auch etwas Ersti-ckendes haben – so wie die maßlose Gier nach Besitz und Macht alle Beteiligten wie eine wuchernde Krankheit befällt.
Regisseur Jürgen Kruse hat zuletzt am Thalia Shakespeares Hamlet in einen weinerlichen Bubi verwandelt. Bei O'Neills Stück beweist er eine Menge Feingefühl mit und Respekt vor dem Stoff. Ein paar Jokes lässt er sich nicht nehmen, doch im Großen und Ganzen nimmt er die 1924 uraufgeführte Familientragödie des amerikanischen Dramatikers und Nobelpreisträgers Eugene O'Neill ernst. Anfangs erwartet man noch Schlimmes, wenn die beiden Halbbrüder von Eben in XXL-Jeanslatzhosen und Langhaarperücken halb debil an der Wäscheleine hängen und sich in Stakkatosätzen den Tod des verhassten Vaters wünschen.
Dass dieser abgehackte Sprachduktus nicht Masche, sondern Methode ist, offenbart sich erst mit der Zeit. Alle reden so, nur das Nötigs-te, und meist direkt, sehr laut und sehr akzentuiert. Karges Land, karge Sprache. Was zunächst befremdet, erweist sich als Ausdruck der Unfähigkeit, miteinander zu reden. Miteinander arbeiten: ja, aber ansonsten kämpft jeder gegen jeden. „Ich liebe dich“, brüllt Abbie (auf Dauer eine Spur zu tough: Judith Rosmair) ins Publikum, schaut Eben aber kein einziges Mal dabei an. Ihren gemeinsamen Sohn zeugen sie symbolisch: Rücken an Rücken, getrennt durch eine dünne Holzwand. Während Eben sich in den Hosenschlitz greift, lehnt Abbie mit entblößter Brust an der Wand des Schlafzimmers, im Bett der gehörnte Ehemann, darüber lamentierend, dass ihn noch keine seiner drei Frauen verstanden hat. Michael Altmann ist für die Rolle des Patriarchen wie geschaffen. Den Verdacht, dass sein jüngster Sohn von seinem zweitjüngsten Sohn stammt, ertränkt er zunächst in Whiskey. Genauso ruhig ertränkt er dann fast Eben. Sehr schlaff wirkt Andreas Pietschmann in dieser Rolle des verlorenen Sohns.
Ein altmodisches, ein archaisches Stück. Jürgen Kruse schält die alttestamentarischen Wurzeln, den Vater-Sohn-Konflikt, den Kindsmord, die Habgier, das harte Leben in der Einöde heraus. Und wie immer sorgt bei ihm die Musik fürs unterdrückte Emotionale: Eine behutsam gesetzte Tonspur von Country bis Folk verleiht Einsamkeit und der Enttäuschung darüber Ausdruck, dass die Protagonisten nicht gelernt haben, miteinander zu reden. Gewinnen kann hier keiner. Selbst im Kampf um den Besitz nicht. Sieger wird ein Außenstehender, der nicht lange zögert, sondern zur Pistole greift. „Schöne Farm. Die gehört jetzt mir.“
nächste Vorstellung: Dienstag, 2. April, 20 Uhr, Thalia
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