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■ Mein persönliches Wahlprogramm. Ein Antwortbrief an SchröderSchämen für Deutschland

Lieber Gerhard Schröder,

wie heißt es doch so schön bei Woody Allen: „Ich glaube nicht an die Unsterblichkeit, aber ich habe immer Unterwäsche zum Wechseln bei mir.“ Diesen geradezu atemberaubenden Pragmatismus habe ich auch an Ihnen immer bewundert. Die Fähigkeit, in neue Zusammenhänge einzutauchen und dabei liebgewonnene Erkenntnisse, und sei es so etwas wie die Unsterblichkeit, zu überprüfen. Heute Juso, morgen Kanzler, heute für den Ausstieg aus der Atomindustrie, morgen dagegen, heute den wirtschaftlichen Aufschwung leugnen und ihn morgen schon als Ihren eigenen verkaufen – alle Achtung.

Manche meinen ja, Sie wollten die Macht um jeden Preis, man wüßte aber gar nicht, was Sie mit dieser Macht anfangen wollten. Ich denke, ich weiß es: Sie wollen die Macht haben. Es ist mir angelegen, Ihnen für diesen ehrlichen Charakterzug meinen besonderen Respekt auszusprechen. In der Sache, dies vorweg, teile ich Ihre Auffassung nicht unbedingt.

Ich kenne Sie – so wie Sie mich wohl auch – nur aus der Zeitung. Da las ich über Sie, daß Sie 54 Jahre alt sind, in Hannover leben, eine kaufmännische Lehre gemacht haben und niedersächsischer Ministerpräsident sind. Gerade haben Sie ein Buch veröffentlicht: „Und weil wir unser Land verbessern... 26 Briefe für ein modernes Deutschland“. Sie schreiben an prominente und völlig unbekannte Bürger unseres Landes, plaudern aus Ihrem Leben, erzählen Anekdoten und Geschichten und verbreiten auf diese Weise Ihr ganz persönliches Wahlprogramm. Sie lassen Joschka Fischer zum Beispiel wissen, daß Sie früher an die Vergesellschaftung der Produktionsmittel geglaubt haben, sich dessen aber keineswegs schämen würden. Können wir so unser Land verbessern, Herr Schröder?

Gut, Sie sehen das vielleicht so. Aber wie wäre es, wenn Sie sich mal meine Geschichte anhörten? Ich bin 34 Jahre alt, lebe in Berlin und habe an einer kommunistischen Universität in Leipzig eine journalistische Ausbildung gemacht. Ich habe früher auch an die Vergesellschaftung der Produktionsmittel geglaubt, aber ich schäme mich heute wenigstens dafür. Können wir so unser Land nicht viel besser verbessern?

Sehen Sie, worauf ich hinauswill? Ich nicht.

Darüber ausgiebig bei einem grünen Salat und einem Glas Buttermilch zu diskutieren ist ja angesicht Ihrer momentanen ehelichen Verhältnisse nicht so gut möglich. Ich hoffe, das wird wieder.

In diesem Sinne herzlich Ihr Jens König

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