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Mein Wahlkampftagebuch (1)Gefalzt, getackert und geschrumpft

Georg Löwisch
Kolumne
von Georg Löwisch

Der glücklose Kandidat: SPD-Spitzenkraft Nils Schmidt wurde in der Koalition erfolgreich vom Partner zum Musterschüler geschrumpft.

Stolz auf die Null: Baden-Württembergs SPD-Spitzenkandidat Nils Schmidt präsentiert seinen Erfolg Foto: dpa

D ie SPD von Baden-Württemberg hat ihren Spitzenkandidaten Nils Schmid in zwei Hälften geteilt. Man entdeckt das, wenn man das Regierungsprogramm durchblättert, mit dem die SPD in den Landtagswahlkampf zieht. Über einer Doppelseite der DIN-A4-Broschüre steht: „Unser Regierungsteam“, darunter ist ein Gruppenfoto abgedruckt. Weil Schmid der Chef und außerdem Finanz- und Wirtschaftsminister ist, steht er genau in der Mitte des Teams.

Allerdings befindet sich in der Mitte dummerweise auch der Knick zwischen den beiden Seiten, Drucker sagen: der Falz. Der Falz geht mitten durch den Mann. Aber die Wahlkampfhelfer haben nicht nur ihren Spitzenkandidaten in zwei Teile gefalzt, sie haben ihm eine Heftklammer in den Kopf getackert und die zweite in den Schritt.

Drei Wochen vor der Landtagswahl am 13. März schlingert Schmids SPD zwischen 14 und 16 Prozent. Natürlich strotzte die Partei im Südwesten nie vor Kraft. Aber nun fällt sie tiefer denn je. Wie konnte es so weit kommen?

Einerseits ist da die innerparteiliche Missgunst. Spricht man zum Beispiel mit einem einflussreichen SPD-Mitglied über dessen Parteifreunde, dann ist von so vielen Tierarten die Rede, dass man meint, im Ohr habe man den Audioguide der Wilhelma, das ist der Stuttgarter Zoo.

Musterschüler statt Partner

Das andere Problem der SPD ist Winfried Kretschmann, der seinen Finanz- und Wirtschaftsminister erfolgreich vom Partner zum Musterschüler geschrumpft hat. Die Szene, die alles erzählt, fand im Juli 2014 auf dem Sommerfest der baden-württembergischen Landesvertretung statt. Die Spätzle waren vertilgt, das Tannenzäpfle floss, es war Mitternacht. Da stand Nils Schmid auf der Bühne: Hallo! Der Nils! Hat Geburtstag! Endlich schauten alle auf ihn. Da schnappte sich Kretschmann den Moment – und dirigierte spontan „Viel Glück und viel Segen“. Im Kanon! Hallo! Der Kretsch! Niemand redete mehr über Schmid.

Das dritte Problem geht tiefer: Die SPD ist nur eine Art Betriebsrat in Baden-Württembergs Parteiensystem, der ab und zu mehr Lehrerstellen fordert. Sie müsste sich grundsätzlich fragen: Wessen Partei sind wir? Viele Wahlkreise machen CDU und Grüne unter sich aus. Baden-Württembergs gutsituierte Industriearbeiter wählen auch nicht so gern sozialdemokratisch.

Ein lohnendes Ziel wäre es, die Partei der Einwanderer zu werden. In viele Kreisverbänden engagieren sich Sozialdemokrat_innen mit Migrationshintergrund. Nils Schmid spricht türkisch, seine Frau kommt aus einer türkischen Familie. Aber obwohl der Ansatz teilweise schon gelebt wird, verfolgt ihn die SPD nicht systematisch.

Eine Ampel wurde abgeschaltet

Und nach dem 13. März? Eine Ampel unter Kretschmann hat die FDP am Sonntag abgeschaltet. Spannend ist es trotzdem, vor allem seit in der ersten Umfrage die Grünen führen. Schwarz-Grün oder – wer weiß – Grün-Schwarz. Ganz vielleicht doch Grün-Rot. Oder etwas ganz Neues: Schwarz-Rot plus FDP, denn für das, was anderswo Große Koalition heißt, sind CDU und SPD zu schwach.

Gefalzt, getackert und geschrumpft – ab Wahlsonntagabend dürfte Schmid sich innerparteilichen Umsturzversuchen ausgesetzt sehen. Wenn sich aber für die SPD eine halbwegs realistische Machtoptionen bietet, kann das Schmid helfen: Wenn schon verlieren, dann wenigstens regieren, also erst mal stabilisieren – diese alte Logik nutzte nach der Bundestagswahlpleite 2013 Sigmar Gabriel. Der erstaunlichste Fall dieser Art ereignete sich 2004 in Sachsen. Dort zerbröselte die SPD unter Spitzenkandidat Thomas Jurk. 9,8 Prozent, das schlechteste Ergebnis der SPD in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein paar Wochen später wurde Jurk stellvertretender Ministerpräsident.

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Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
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5 Kommentare

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  • Es erstaunt mich immer wieder, wieviel Unmut, vielleicht sogar Hass gegen die SPD gezeigt wird. Und während eine CDU jeden Unfug anstellen darf, ohne dass das bei Wahlen ins Gewicht fällt, wird die Messlatte bei der SPD erheblich höher gelegt. Weil aber Verzeihen nicht ins heutige christliche Menschenbild zu passen scheint, zumindest auf die SPD bezogen, ist es wie es ist. Schade, dass der recht hat, der einmal sagte: "Der größte Feind des Arbeiters, ist der Arbeiter selber."

  • Wird Zeit, dass die SPD auch mal das Schicksal der Bundes-FDP teilt!

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Fritzthecat:

      Nun müssen Sie nur noch den Grund für Ihre Forderung nennen.

      • @571 (Profil gelöscht):

        Vielleicht kann ich da aushelfen und einige Gründe nennen, weshalb (jedenfalls für mich als ehemaliger SPD Wähler) diese Partei unwählbar geworden ist. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) hat mit der Agenda 2010 alles Soziale über Bord geworfen was diese Partei einmal ausgemacht hat.

         

        DIE ZEIT (26. Oktober 2010): "Die Agenda 2010, [...], das sind gesenkte Lohnnebenkosten, liberalisierte Zeitarbeit, Minijobs, Privatrente und das Herzstück der Reform - Hartz IV. Hartz IV, die Verschmelzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf dem niedrigen Niveau der Sozialhilfe. [...] genau genommen war die Agenda die Sache einer Riege von Männern in der SPD [...]. Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Walter Riester, Wolfgang Clement, Hans Eichel, die Berater Bert Rürup und Peter Hartz und ein paar Vertraute Schröders, die im Hintergrund mitgedacht haben, vor allem sein Kanzleramtschef: Frank-Walter Steinmeier."

         

        Und jetzt will sich die SPD mit dem Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) endgültig den Todesstoß geben. Übrigens: Die angegebenen 2 Millionen neuer Arbeitsplätze mit denen man uns immer bei TTIP ködern will, die beziehen sich auf den gesamten Freihandelsraum mit über 800 Millionen Menschen.

         

        Das waren jetzt nur zwei Gründe (Agenda 2010, TTIP) weshalb man die SPD, die merkwürdigerweise immer noch das Wort "Sozial" in ihrer Bezeichnung Sozialdemokratische Partei Deutschlands trägt, nicht mehr wählen kann.

        • @Ricky-13:

          Naja, die C-Parteien übersetzen diesen Buchstaben ja auch immer noch mit "christlich", und die CSU hat sogar das ominöse "sozial" mit im Namen.

          Nein, im Ernst: Natürlich ist die SPD mit der Agenda 2010 noch weiter ins neoliberale Lager gerückt als sie es vorher schon war, wodurch links von ihr einiges an Platz frei wurde. Und während manche Journalisten (etwa von "heute") einen Linksruck der Merkel-CDU wahrzunehmen glauben, kam die Annäherung zwischen SPD und CDU fast ausschließlich von der SPD, die CDU musste sich eigentlich gar nicht bewegen (was ihr natürlich auch viel besser passt). Dennoch bleibt die SPD eine sozialdemokratische Partei, gerade auch im Vergleich mit anderen, und sie hat die Anlagen, wieder auf Kurs zu kommen. Sie sollte sich nur endlich vom Anspruch verabschieden, etwas von Wirtschaft zu verstehen - und speziell in BaWü, die bessere CDU zu sein.

          Der SPD fehlt in BaWü nicht so sehr das Soziale als generell die Eigenständigkeit und Originalität. Leute wie Eppler fehlen einfach, hatten es aber natürlich immer schwer in der SPD.