Mein Freund, der Terrorist: „Werte Taliban-Fraktion“
Zentralamerika: Die gute, alte Bürgerkriegszeit kehrt zurück – zumindest rhetorisch. Für die Rechte sind die Linken wieder Terroristen, die Linke tappt in die Sympathisantenfalle
SAN SALVADOR taz ■ Die Standardbegrüßung bei Reden rechter Abgeordneter im Parlament von El Salvador wurde nach dem 11. September erweitert: „Herr Präsident, werte Kollegen, Abgeordnete der Taliban-Fraktion.“ Das ist nicht ironisch gemeint, sondern bitterböse. Alle, die ein wie auch immer gebrochenes Verhältnis zur Regierung in Washington haben, werden als Terroristen diffamiert. Die ehemalige Guerilla und heutige Oppositionspartei FMLN hat dieses gebrochene Verhältnis und wird deshalb als „Taliban-Fraktion“ bezeichnet.
Ganz unschuldig daran sind die Genossen nicht. Ihr Fraktionsvorsitzender Salvador Sánchez und eine Hand voll weiterer Parlamentarier marschierten am Wochenende nach den Attentaten zusammen mit einer Sympathie-Demonstration für Ussama Bin Laden durch die Hauptstadt San Salvador. Rund 1.000 Menschen waren dem Aufruf von Studentenorganisationen und Gewerkschaften gefolgt. Sprechchöre forderten „noch ein Flugzeug“. Zumindest in Teilen der linken Basis herrscht unverhohlene Schadenfreude: Endlich hat es ein kleiner David dem arroganten Goliath gezeigt.
Die Anschläge werden zum Anlass genommen, alte Feindbilder aus Bürgerkriegstagen wieder auszugraben. Wer nicht mit uns ist, ist ein Terrorist, sagt die USA-freundliche Rechte. Das gilt nicht nur in El Salvador. Auch im Präsidentschaftswahlkampf Nicaraguas nutzt die Rechte die Gelegenheit, um den sandinistischen Kandidaten in die Terroristen-Ecke zu schieben.
Im Gegenzug kehrt auf der Linken ein plumper Antiamerikanismus zurück. Wer groß ist und blond und deshalb für einen US-Amerikaner gehalten werden kann, muss auf den Straßen von San Salvador neuerdings finstere Anmache gewärtigen: „Was willst du hier, Gringo? Hau ab, oder wir bringen euch alle um.“
Auch im unter dem Übergewicht des nördlichen Nachbarn leidenden Mexiko werden die Anschläge ins David-Goliath-Muster gepresst. Allerdings nicht so ernst. Schon kurz nach dem 11. September tauchten T-Shirts auf mit der Aufschrift „Bin Laden ist mein Held“. Zum Verkleidungsfest an Halloween produzierte eine Firma flugs Gummimasken mit Bin-Laden-Gesicht. TONI KEPPELER
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