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„Mein Bankkonto ist besser geschützt als meine sexuelle Freiheit im Internet“

Spanien ist bei der Bekämpfung sexistischer Gewalt weiter als Deutschland. Die Po­li­tik­wis­sen­schaft­le­r*in Katharina Klappheck erklärt, warum hierzulande vor allem der politische Wille fehlt

Interview Martin Seng

taz: Katharina Klappheck, was fällt Ihnen auf, wenn Sie auf die spanischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen schauen?

Katharina Klappheck: Spanien geht mit der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen besser um als Deutschland. Und auch im lateinamerikanischen Kontext wird sie besser als in Europa bekämpft, durch einen größeren politischen und vor allem zivilgesellschaftlichen Druck. In Spanien gibt es zum Beispiel seit 2022 das „Gesetz der Garantie der sexuellen Freiheit“, das allgemein „Nur Ja heißt Ja“-Gesetz heißt. Dann gab es den prominenten Gerichtsfall der spanischen Fußballerin Jennifer Hermoso, die vom spanischen Ex-Fußballboss Luis Rubiales ungewollt geküsst wurde. Der hat zwar nur eine geringe Geldstrafe bekommen, aber selbst das ist schon ein Erfolg. Sexualisierte Gewalt wird nur sehr selten angezeigt und jede noch so kleine Verurteilung ist ein Erfolg, was der eigentliche Skandal ist. Aber trotz dieser Hürden bleibt Spanien in seiner Gesetzgebung nicht stehen. Dazu erhebt Spanien seine Zahlen zur Gewalt gegen Frauen deutlich umfangreicher.

taz: Warum engagiert sich Deutschland nicht stärker?

Klappheck: Das spanische Parlament und die Zivilgesellschaft begreifen das Problem gesellschaftlich und systemisch. Es wird nicht nur über Femizide gesprochen, es gibt auch eine Lernbereitschaft. Dort gibt es seit 2007 ein Programm, das durch Algorithmen die Gefährdungen automatisch analysiert. Auch dieses Programm ist keine Lösung für ein strukturelles System, doch es ist ein Anfang. Eine zweite Dimension ist, dass die Gesellschaft anders sensibilisiert wird, auch durch die Berichterstattung. Auch in konservativen deutschen Medien wird inzwischen von Femiziden gesprochen. Wir reden nun darüber, dass die geschlechtsbasierte Gewalt tödlich und in patriarchalen Strukturen verankert ist. Wir sehen, dass es keine Einzelfälle, Partnerschafts- oder Familientragödien sind. Trotzdem liest man noch in deutschen Zeitungen, dass Tä­te­r:in­nen nur die Kontrolle verlieren und durch Trennung leiden. Letzteres gilt im deutschen Rechtssystem als strafmildernder Umstand. Das alles sind Narrative, die es in einem politischen Diskurs erschweren, geschlechtsspezifische Gewalt strukturell zu ahnden. Dadurch ermöglicht man auch keine gesellschaftliche Verantwortungsübernahme, während die Zahlen zu geschlechtsbasierter Gewalt steigen.

taz: Allein 2023 gab es in Deutschland 360 Femizide. In Spanien waren es 59. Zwar ist jeder Femizid einer zu viel, aber der Unterschied ist deutlich. Warum ist das kein Weckruf für Deutschland?

Foto: privat

Katharina Klappheck

ist Referent*in für feministische Digitalpolitik im Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.

Klappheck: Weil der Wille fehlt. Ich würde gerne eine sehr komplexe Antwort darauf geben, aber ich kann nicht. Der Wille in Deutschland, diese Gewalttaten zu adressieren und zu bekämpfen, fehlt schlichtweg. In Spanien sind es oft breite politische Bestrebungen, die diese Gesetzgebung ermöglichen. Es ist nicht so, dass nur die Regierungskoalition versucht, etwas zu ändern. Schon 2004 wurde vom gesamten Parlament der Pakt gegen geschlechtsspezifische Gewalt verabschiedet. 2017 wurde es dann zu einer „Staatsaufgabe mit hoher Priorität“ erklärt. Von Na­tio­na­lis­t:in­nen bis hin zu linken Gewerkschaftsbündnissen, alle haben sich daran beteiligt. Wenn wir uns daran erinnern, wie hierzulande das Gewalthilfegesetz verabschiedet wurde, war das unterirdisch und mündete in der Exklusion von trans Frauen aus dem Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz. In Spanien erkennen sie die Notwendigkeit und den nationalen Notstand an. Aber in Deutschland geht es bei der letzten Regierungsbildung darum, wer wann sein machtpolitisches Kalkül vergrößern kann.

taz: 59 Opfer sind auch für Spanien die höchste Zahl seit 2015. Wie kann es also sein, dass die Zahlen trotz der Maßnahmen steigen?

Klappheck: Geschlechtsbasierte Gewalt ist eine gesellschaftliche Gefahr. Sie muss umfangreich bekämpft werden. Fußfesseln und Algorithmen sind nur ein winziger Bestandteil und wirken oftmals begrenzt und lückenhaft. Was wir brauchen, in Spanien, Deutschland und darüber hinaus, ist eine Gesellschaft ohne patriarchale Strukturen. Spanien hat sicherlich belastbare rechtliche Strukturen, aber auch die reichen nicht aus, gerade in Anbetracht weltweit erstarkender rechter antifeministischer Bewegungen. So kann kein einheitlicher zivilgesellschaftlicher Druck aufgebaut werden. Für ein Ende der geschlechtsbasierten Gewalt bräuchte es auch ein Ende des Patriarchats. Dafür müssen sich in allen Gesellschaften grundlegende Dinge ändern wie die Verteilung von Sorgearbeit, der Wohnraum, Familienpolitik und noch vieles mehr.

taz: 2023 wurden in Deutschland über 17.000 Fälle von digitalisierter Gewalt gegen Frauen registriert, was auch Nötigung und Stalking mit einschließt. Wieso gibt es nicht mehr Schutzmaßnahmen dagegen?

Anonyme Ak­ti­vis­t*in­nen protestieren 2024 in Madrid mit den Namen ermordeter Frauen Foto: Luis Soto/SOPA Images/imago

Klappheck: Geschlechtsbasierte Gewalt ist nicht interessant genug. Um es zynisch auszudrücken, wenn es um mein Bankkonto geht, bin ich besser geschützt, als wenn es um meine sexuelle Freiheit im Internet geht. Es ist sehr schwer, sich vorzustellen, wie weit diese politische Ignoranz reicht. Gerade jetzt, in einem vorwiegend männlichen Parlament und Digitalausschuss, wird dieses Problem weiterhin marginalisiert. Allerdings haben wir Gesetze, die vermeintlich minderschwere Delikte wie das Zusenden von Dickpics, ahnden sollen. Was aber fehlt, ist eine stärkere Strafverfolgung. Meistens passiert nach einer Anzeige nichts, weil oftmals Ressourcen fehlen. Es fehlen Staatsanwaltschaften und Personal, um all diesen Anzeigen nachzugehen. Es wird auch nicht mit einbezogen, wie strukturell dieses Problem ist.

taz: Was ist dann noch realistisch, um den Schutz vor sexistischer Gewalt wie in Spanien langfristig auszubauen?

Klappheck: Diese Frage gibt es in allen Kontexten, in denen Flinta-Personen benachteiligt und unterrepräsentiert werden. Warum gibt es zum Beispiel so wenige Start-up-Gründer:innen? Eine gern genommene Lösung ist, zu sagen, dass wir uns nur mehr vernetzen müssen. Und dann würde es auch mehr Start-ups von Frauen geben. Aber sie sind längst vernetzt. Sie bekommen schlicht keine Finanzierung. Es wäre sicherlich toll, mit mehr Ressourcen noch stabilere Netzwerke aufzubauen, über Europa hinweg, in die Afrikanische Union. Doch es wäre auch einfach viel getan, wenn Cis-Männer keine Flinta-Personen vergewaltigen, belästigen oder töten. Doch es braucht politischen Willen, Geld, Präventionsmaßnahmen und einen Zugang für alle. Das fängt schon in der Schule an, wo die sexuelle Bildung unter Beschuss steht. Gerade der Unterricht, wo Menschen lernen, anderen mit Respekt und Konsens zu begegnen, wird zurückgedrängt. Auch dabei schließt sich wieder der Kreis zu Spanien. Dort sind Schulen längst in der kritischen Infrastruktur mitgedacht. Das alles könnte Deutschland auch.

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