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Mehr kriminell als politisch

Auf den Philippinen gelten die Geiselnehmer von der Abu-Sayyaf-Guerilla hauptsächlich als Kriminelle. Sie verfügen über kein inhaltliches Programm und wollen sich mit ihren politischen Forderungen nur interessant machen, heißt es in Jolo

aus ZamboangaJUTTA LIETSCH

Die Hoffnung auf ein baldiges Ende des philippinischen Geiseldramas hat einen schweren Dämpfer bekommen: Mit leeren Händen kehrten Vermittler und Mediziner gestern von einem ersten Treffen mit den Entführern nach Jolo zurück. Der frühere libysche Botschafter in Manila, Radschak as-Asaruk, zeigte sich nach dem vierstündigen Treffen an einem geheimen Ort im Inneren der Insel Sulu schweigsam und sichtlich enttäuscht. Auch der philippinische Muslim-Gelehrte Ghasali Ibrahim, der ihn begleitet hatte, wollte sich zunächst nicht äußern.

Vor allem ausländische Zeitungen hatten sich von den Vermittlungsbemühungen der beiden prominenten Persönlichkeiten viel versprochen. Sie galten als Wunschkandidaten der Abu-Sayyaf-Guerilla für Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln. Was die Situation für die Unterhändler jedoch so enorm schwierig macht: Abu Sayyaf („Träger des Schwerts“) ist nach Meinung von Fachleuten in Jolo heute nicht viel mehr als eine kriminelle Bande, locker organisiert und untereinander zerstritten. Obwohl die Abu-Sayyaf-Leute von sich behaupten, für einen islamischen Staat zu kämpfen, haben sie kein klares religiöses oder politisches Programm. Dass sie nach der Entführung einer anderen Gruppe von Geiseln auf der Insel Basilan im März die Freilassung von Muslimen forderten, die wegen des Bombenanschlags auf das World Trade Center in New York verurteilt waren, gilt in Jolo als „Versuch, sich interessant zu machen“.

Einen Namen machte sich die Gruppe in letzter Zeit vor allem durch Entführungen, Erpressungen, Morde, Schmuggelgeschäfte und Beteiligung am illegalen Holzhandel. In den ersten Jahren war das noch anders: Als der charismatische Prediger Abdurajak Janjalani Anfang der Neunzigerjahre Abu Sayyaf gründete, pflegte er gute Beziehungen zu muslimischen Geistlichen in seiner Heimat Basilan, die ein einfaches Leben nach den Vorschriften des Korans predigten. Die Insel Basilan, unweit von Sulu, sollte auch die Basis seiner Guerillatruppe werden. Seine Ausbildung in islamischem Recht hatte Janjalani zunächst in Mekka und später in Tripolis, der Hauptstadt Libyens, erhalten.

Viele Guerillakämpfer, die zuvor zur Moro National Liberation Front (MNLF) gehört hatten und sich mit deren Chef Nur Misuari überwarfen, landeten in den nächsten Jahren bei Abu Sayyaf. Innerhalb kurzer Zeit wandelte sich der Charakter der Organisation zu einer Terrorgruppe, die sich ironischerweise bester Beziehungen zu lokalen Armeeeinheiten rühmen konnte: Mit ihnen machte sie Waffen- und andere Geschäfte. Nachdem der Abu-Sayyaf-Gründer 1998 erschossen wurde, übernahm sein jüngerer Bruder Ghadaffi das Ruder.

Im rechtlosen Klima der Sulu-Inseln sind die Grenzen zwischen politischen, religiösen und kriminellen Gruppen fließend. Bis zum Frühjahr zählte Abu Sayyaf kaum mehr als 250 Kämpfer, darunter einen harten Kern, der seine Guerillaausbildung in Libyen erhielt. Doch inzwischen soll die Organisation auf bis zu 1.000 bewaffnete Mitglieder angewachsen sein. Neue Rekruten erhalten fast tausend Mark – eine im verarmten Süden beachtliche Summe. Zudem soll ihnen ein Anteil am – offiziell noch gar nicht geforderten – Lösegeld für die 21 Geiseln versprochen worden sein. Denn die Europäer gelten als sehr reich. Deshalb könnten sich, so glauben Kontaktleute der Abu-Sayyaf-Gruppe in Jolo, die Verhandlungen über die Freilassung der Entführten noch lange hinziehen.

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