Das Ding, das kommt
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Ihre Puppen sind alles andere als Klonschafe: Suse Wächter bringt am Schauspielhaus in Hamburg Günther Anders' "Antiquiertheit des Menschen" auf die Bühne Foto: Maurice Kohl

Mehr als Schatten

Puppen kommen gar nicht vor in Günther Anders’düsterer Technikkritik „Die Antiquiertheit des Menschen“ aus dem Jahr 1957. Aber bei seinem Zwillingsbruder im Zeitgeiste, Heinrich Schirmbeck, findet man sie: In dessen – im gleichen Jahr erschienenen – Roman „Ärgert dich dein rechtes Auge“ ergießt sich nach einer Kinovorstellung ein Strom „von süchtigen Menschenpuppen, mit ihren blutleeren, von den Schatten der Leidenschaft gezeichneten Gesichtern“ auf die Straße; so etwas wie die Vorläufer jener gruseligen „Smombies“, sprich: Smartphonezombies, von denen, glaubt man dem Wörterbuchverlag Langenscheidt, heute alle Jugend spricht?

Der Mensch in der Welt technisch reproduzierter Bilder: Bei Schirmbeck ist er nur noch eine Puppe, deren sprichwörtliche Fäden längst sein eigenes Geschöpf in der Hand hält. Der Mensch werde seiner Schöpfung nicht mehr Herr, seine „Apparatenwelt“, schreibt der 2005 Verstorbene, „entwickelt eine Eigengesetzlichkeit, die ihn in seiner Freiheit und Existenz bedroht“.

Das steht dann auch bei Anders: „Alles Wirkliche wird phantomhaft, alles Fiktive wirklich.“ Für Anders ist der Mensch schon 1929 „ohne Welt“, 1957 dann ist er angesichts von Atombombe, Fernsehen und immer perfekter werdender Maschinen endgültig antiquiert. Kein vorausdenkender Prometheus mehr, sondern ein „danach denkender“ Epimetheus, den die „prometheische Scham“ dazu treibt, sich selbst zu perfektionieren wie seine technisch überlegenen Schöpfungen.

Dass der Mensch zwar antiquiert sein mag, nicht aber Anders’Thesen: Das ist wiederum die These von Suse Wächter, die die „Antiquiertheit des Menschen“ jetzt am Hamburger Schauspielhaus auf die Bühne bringt – als Puppenspiel rund um Cyborgs, Klonschafe, perfekte Fitness-Körper und andere Besenstiele, die der Zauberlehrling Mensch nicht mehr los wird.

So ganz hoffnungslos kann das aber nicht werden. Denn die Berliner Puppenspielerin ist alles andere als ein Anders’scher „Objekthirt“, ihre Geschöpfe sind keine massenhaft kopierten Abbilder, sondern Unikate mit Charakter; keine steifen Holzmarionetten, sondern lebendig wirkende, biegsame Wesen aus Latex, Schaumgummi, Stoff und Menschenhaar. Dass nach dieser Vorstellung blutleere Menschenpuppen aus dem Saal strömen: unmöglich. MATT

Premiere: Sa, 12. 12., 20 Uhr, Hamburg, Schauspielhaus/Malersaal. Weitere Aufführungen: 16.–19., 29. + 30. 12.