Medikamentenskandal: Arzneiklau hat Nebenwirkungen
Im Prozess um die Medikamentenaffäre in der JVA Moabit erhalten der Leiter der Arztgeschäftsstelle und sein Vorgänger Bewährungsstrafen. Doch das Urteil erfasst wohl nur einen Teil des Skandals.
Gestern fand die Medikamentenaffäre der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit ihren Abschluss, zumindest vorläufig. Fünf Anstaltsmitarbeiter wurden vom Amtsgericht Tiergarten wegen Diebstahls von Medikamenten im Wert von etwa 2.500 Euro zu mehrmonatigen Bewährungsstrafen mit Geldbußen sowie Geldstrafen verurteilt. "Ich habe keinen Zweifel daran, dass es sich bei den angeklagten Taten nur um die Spitze des Eisberges handelt", sagte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung.
Fünf Zeugen beschrieben die "von den Angeklagten ausgenutzten Unzulänglichkeiten in der Arztgeschäftsstelle der JVA Moabit", so der Staatsanwalt. Jahrelang wurden dort weder die Bestellungen noch die Bestände der Arzneimittel kontrolliert. Jeder Mitarbeiter der Geschäftsstelle konnte in der Apotheke ordern, was er wollte, und sich ungehindert an den Medikamentenschränken bedienen. Drei der Angeklagten organisierten insgesamt 15 Diebstähle über den angeklagten Pflegevorsteher Jörg M., eine Krankenschwester entnahm Psychopharmaka für den eigenen Gebrauch.
"Die Angeklagten haben selbst gar keinen Hehl daraus gemacht, dass die beiseitegelegten Medikamente für sie selbst bestimmt waren", sagte die Richterin. Der Diebstahl fand also am helllichten Tage statt. Die Staatsanwaltschaft hatte es schwer, aus dem offenbaren Unrecht eine tragfähige Anklage zu zimmern. Es gab nur die Aussagen von Kollegen, die sich nur ungern als Nestbeschmutzer betätigen wollten. Aufgrund ihrer Aussagen gab die Staatsanwaltschaft einen Tatzeitraum von Mai 2005 bis September 2006 an. Doch in der Verhandlung wurde deutlich, dass diese Zustände über einen weit längeren Zeitraum anhielten. So berichtete ein Mitarbeiter, schon seit 1998 davon gewusst zu haben. Doch warum zeigten die Zeugen ihre Kollegen nicht an?
Weil sie sich allein fühlten. Und eine Zeugin sagte aus: "Alle, bei denen ich was hätte melden können, waren selbst beteiligt." Dies, so die Richterin, sei besonders verwerflich: Die leitenden Mitarbeiter wie der Pflegevorsteher Jörg M., der Pflegedienstleiter Rolf-Dieter M. und der Personalratsvorsitzende Siegfried K. nutzten ihre Stellung für die Tatbegehung aus. Die Richterin machte - was selten vorkommt - keinerlei Abstriche von der Anklage: Sie verurteilte den suspendierten Pflegevorsteher zu einer neunmonatigen und seinen pensionierten Vorgänger zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe. Außerdem sollen beide 2.000 Euro an gemeinnützige Vereine zahlen. Den suspendierten Pflegedienstleiter verurteilte sie zu 4.800 Euro, den Personalratsvorsitzenden zu 1.600 Euro und die Krankenschwester zu 1.200 Euro Geldstrafe. Die fünf Verteidiger, die mangels Beweisen und wegen unglaubwürdiger Zeugen sämtlich den Freispruch für ihre Mandanten gefordert hatten, denken nun über eine Berufung nach.
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