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Medikamenten-Skandal"Contergan war ein Kollateralschaden"

Jan Schulte-Hillen hat wegen des Schlafmittels kurze Arme. Mehr nicht. Er sagt, dass er Glück hat und das Medizinprodukte immer noch lax getestet werden.

Jan Schulte-Hillen isst gern Äpfel. Einen jeden Morgen. Bild: Foto: Bernd Hartung

Man sollte nicht versuchen, Jan Schulte-Hillen als behindert zu bezeichnen. Auch wenn das Contergan seinen Körper verändert hat. Man muss dann mindestens mit einer sehr energischen Antwort rechnen: "Vorsicht! Ich fasse mich nicht als behindert auf. Ich habe kurze Arme, sicher, das ist im Alltag auch oft irre lästig, aber es bestimmt nicht mein Leben. Ich bin verheiratet, wir haben zwei Söhne, ich arbeite als Arzt, fahre Auto, Motorrad und Ski."

Jan Schulte-Hillen ist der Sohn des Rechtsanwalts Karl-Hermann Schulte-Hillen, der dafür gesorgt hat, dass die Fälle von contergangeschädigten Kindern in den 60er-Jahren bekannt wurden und dass es schließlich zum Prozess gegen die Firma Grünenthal kommen konnte. Über Schulte-Hillens Kampf ist eine Dokumentation gedreht worden. Er ist einer der prominentesten Gegner der Firma Grünenthal.

"Ich habe großes Glück gehabt", sagt Jan Schulte-Hillen im sonntaz-Gespräch, "verglichen mit den vielen Menschen, denen es wirklich dreckig geht, die keine Arme und Beine haben, die auf dem Boden leben, sich rollend fortbewegen müssen."

Bild: taz

Wie er selbst zum Arzt geworden ist, warum in seiner Kindheit zu Hause kaum über Contergan gesprochen wurde und weshalb er zwischen Sperrmüllmöbeln aufgewachsen ist – das ganze Gespräch mit Jan Schulte-Hillen und viele andere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 18./19. Februar 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

Den Contergan-Skandal betrachtet Schulte-Hillen distanziert und analytisch. "Ein Teil der Errungenschaften unserer westlichen Zivilisation besteht nun einmal darin, dass wir auch bei kleineren Beschwerden schnell zu einem Medikament greifen, um diesen Zustand abzuschalten", sagt er. "Das haben wir uns durch Forschen und Wirtschaften erarbeitet. Contergan war aus dieser Sicht ein Kollateralschaden." Man könne auch sagen: eine Lifestyle-Droge, ein Smashhit. "Wir gingen davon aus, dass wir in einem sicheren System lebten, und waren dann total erstaunt, als sich herausstellte, dass etwas total schädlich war."

Die Konsequenzen aus dem Skandal schätzt er sehr zurückhaltend ein: "Konsequenzen? Ach kommen Sie … Schon gut, im Arzneimittelbereich ist was passiert nach Contergan. Aber sonst?" Ehe Ikea ein Sofa auf den Markt bringe, lasse es einen Roboter sich 50.000-mal darauf hinsetzen.

"Und dann schauen Sie sich, ganz aktuell, den Markt der Medizinprodukte an, den Markt dieser ganzen Brust-, Knie-, Hüftprothesen also, Implantate, die im menschlichen Körper verbleiben. Die werden vergleichsweise lax getestet, und die wenigsten regen sich auf. Oder Nahrungsergänzungsmittel, die kommen praktisch ungeprüft auf den Markt. Ich finde das vogelwild.

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11 Kommentare

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  • HW
    Hans W.

    "von Wolfgang Banse:Contergan-Skandal darf sich nicht wiederholen"

     

    Tut es doch guckt nur mal was bei den Patienten passiert, die Propecia genommen haben und es wird auch heute noch versucht es zu vertuschen. Das Leben tausender junger Männer wird durch diese ja so völlig harmolse Medikament zerstört.

     

    Post-Finasteride Syndrome

  • J
    Jens

    Zitat: "Contergangeschädigte sind im Gegensatz zu anderen Behinderungen, am besten finanziell abgesichert."

     

    @Wolfgang Banse Im Vergleich zu Entschädigungsrenten von Verbrechensopfern sind die vom Staat bezahlten Conterganrenten merkwürdig gering. Von ihrem Schädiger, der Fa. Grünenthal, erhielten sie bisher so gut wie nichts.

     

    Hier ein interessanter Link zu diesem Thema:

     

    http://www.contergannetzwerk.de/bereich-als-tabelle/sozialrecht/was-ist-ein-solches-leben-wert.html

  • WB
    Wolfgang Banse

    Contergan-Skandal darf sich nicht wiederholen

    Das Medikament Contergan hat viel Unheil in das Leben von geborenenn Menschen gebracht.Zeitlebens müssen sie ihre Behinderung mit sich tragen.

    Contergangeschädigte sind im Gegensatz zu anderen Behinderungen, am besten finanziell abgesichert.

    Jede Behinderung die durch ein Medikament,ein Behandlungsfehler entsteht,ist eine Behinderung zu viel.Auszuschalten ist eine Behinderung nicht,aber man viel dazu tun,dass eine Behinderung entsteht.

  • S
    Speimanes

    Schönes Interview, Danke ;-)

  • S
    Speimanes

    Schönes Interview.

  • SH
    Stefan Hirsch

    Ist er nicht ein Prachtexemplar eines Kollateralschadens so Sehen wahre Helden aus, er habe Glück gehabt fragen wir uns jedoch was für ein Glück? Das Glück das Grünentahl sein Arbeitgeber ist er Hillen in die Contergan-Stiftung berufen wurde. Besonders schwer wiegt der Satz: Er ist einer der prominentesten Gegner der Firma Grünenthal, deshalb darf er auch als Gutachter in der Contergan Stiftung tätig sein, der Stiftung die von Grünentahl und Vater Karl so begrüßt wurde, als die einzige legitime Einrichtung für Contergan-Opfer unter der Kontrolle seines Sohnes.

     

    Die Tiergliche abwertende Betrachtung uns die wir noch Leben als Kollateralschaden vergleicht ist Zitat, wie dieser Typ bei seiner Exorzistischen Vorgehensweisen Schäden Austreibt die Schäden sind hat System. Einen unabhängigen Gutachter außer Hillen wurde bis heute nicht zugelassen! Obliegt es doch der Vernunft das grade in der Internistischen Begutachtung das Einholen von weiteren Spezialisten hier eindeutig mehr an Erfahrung bringen würde, zudem unbefangen wäre!!! Wobei ich die Befangenheit und die Gefälligkeitsgutachten von Hillen hiermit deutlich erwähnen will.

     

    Mühselig liest sich das Interview indem es ausschließlich nur um Jan Schulte Hillen geht, im Monolog der eigenen Verherrlichung zu übertönen siegessicher als Gutachter über Schicksale zu entschieden, das ist die Botschaft aus dem Hause Hillen! Sehr überheblich wirkt er fast unsterblich Gottglich? Was der alles kann Ich bin verheiratet, wir haben zwei Söhne, ich arbeite als Arzt, fahre Auto, Motorrad und Ski." Da kann man wirklich nur hoffen, dass der bei einem Unfall keinen Kollateralschaden gar Flurschäden verursacht die Betrachtungsweise bei dieser Abfahrt kann sich da jeder selber vorstellen, wie ein Toni Seiler wird er sicher nicht Aussehen.

     

    Über Hillens Kampf ist eine Dokumentation gedreht worden, Kampf was für ein Kampf? Der Kampf um die Verhinderung des Filmes eine einzige Tablette, wo sich Vater Karl so sehr in seinen Persönlichkeitsrechten Brüskiert sah, er könne seinem Sohn niemals die Hand geben Sagte er, jedoch eben diese Hand hat alles unternommen um diesen Film zu verhindern!! Man hatte halt unsagbare Angst dass die Wahrheit einem Millionenpublikum gezeigt wird, wie Hillen und Wirtz einen Komplott gegen Dr. Dr. Schreiber und Hinterbliebenen Contergan-Eltern beschlossen.

     

    Aber jetzt wieder zurück zu unserm Helden mit Kurtz Arm "Ich habe großes Glück gehabt" verglichen mit den vielen Menschen, denen es wirklich dreckig geht. Dies ist schlicht und ergreifend gelogen!! Denen es dreckig geht haben es ihnen zuzuschreiben, in der Ablehnenden drittklassigen Begutachtungen zu Spezifischen Contergan-Missbildungen, die Sie als Kollateralschaden abwehrend hier Verglichen.

     

    Ich Persönlich lasse mich von Hillen nicht als Kollateralschaden Bezeichnen, noch die Verhöhnung der Ermordeten zu durch diesen „Verkappten“ Internisten. Wie der Vater so der Sohn. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, nur in diesem Fall ist der Apfel niemals gefallen. Deshalb ist der Apfelessende Jan Schulte-Hillen ein weiterer Skandal zudem listig und falsch!!!

  • J
    Jens

    @ Master Jane

    Man sollte vielleicht nicht ganz übersehen, dass die Mütter der Conterganopfer meist gar nichts von ihrer Schwangerschaft wussten, als sie Contergan nahmen.

    Zudem hatte ja Grünenthal nun wirklich alles versucht, um Zweifel an der Giftigkeit von Contergan zu zerstreuen. Der wohl bekannteste Werbespruch war: "Contergan - so harmlos wie ein Zuckerplätzchen."

  • J
    Jens

    Zitat: "Schon damals wusste man, dass man möglichst nichts während der Schwangerschaft nehmen sollte."

     

    @MasterJane Bitte bedenken Sie, dass die Mütter der Conterganopfer meist noch gar nichts von ihrer Schwangerschaft wussten, als sie Contergan zu sich nahmen. Ich begrüße übrigens sehr, dass die taz dieses Thema aufgreift und freue mich schon auf Berichte über andere Überlebende des größten Pharma-Skandals der deutschen Geschichte. Der Conterganskandal und der darauf folgende Conterganprozess sind zudem lehrhafte Beispiele für Verquickungen der Politik mit Wirtschaft und Justiz.

  • M
    MasterJane

    @Jens:

    natürlich kann man den Müttern einen gewissen Vorwurf mitmachen. Schon damals wusste man, dass man möglichst nichts während der Schwangerschaft nehmen sollte. So wie das auch heute bekannt ist. Da muss nicht immer im Beipackzettel auf mögliche Nebenwirkungen hingewiesen werden! Das ändert grds. nichts am Gesamtzusammenhang, ist aber trotzdem so.

    Noch sind wir nicht in Amerika, wo man das Gehirn ausschaltet und danach den Hersteller verklagt, wenn irgendwas passiert (Bsp. heißer Kaffee - McDonalds verklagt).

  • J
    Jens

    Ich zitiere:"(...)dass wir auch bei kleineren Beschwerden schnell zu einem Medikament greifen, um diesen Zustand abzuschalten". Jan Schulte gibt mit dieser Aussage den Müttern der Conterganopfer eine Mitschuld an den Behinderungen ihrer Kinder. Das wirkt schon recht merkwürdig. Gerne würde ich als taz-Leser bei der im Artikel aufgeführten Contergan-Thematik die Sichtweise des bedeutenden Conterganverbandes CND (www.contergannetzwerk.de) kennen lernen.

  • JI
    Johannes Igel

    Als Betroffener empfinde ich die Aussagen von Jan Schulte-Hillen mehr als beschämend. Es kamen 5000 Baby ums Leben. Den Tod dieser Babys als Kollateralschaden zu bezeichnen ist Menschenverachtend.

    Auch das seine Familie während des Conterganprozesses und danach eine zweifelhafte Rolle spielten hat er dabei wohl vergessen. Es war seine Familie im Zusammenspiel mit dem Verursacher die versuchte, die Ausstrahlung des Films über die Contergankatastrophe zu verhindern.

    Menschen wie Jan Schulte-Hillen, die die Öffentlichkeit mit billigen Tricks manipulieren möchten, sind mir zuwider.