Medienpädagogin über Mordfall Marwa E.: "Regierung hat Problem unterschätzt"
Erst durch die Proteste in Ägypten wurde der Mordfall Marwa E. thematisiert. Dort empörte man sich vor allem über ausbleibende Reaktionen der Politik, meint Medienpädagogin Sabine Schiffer.
taz: Frau Schiffer, die öffentliche Anteilnahme an dem Mord an der Ägypterin Marwa E. im Dresdener Landgericht war gering, die Bundesregierung hat nur sehr zögerlich reagiert. Wie erklären Sie sich das?
Sabine Schiffer: Ich kann mir das nur so erklären, dass die Bundesregierung zunächst schlicht nicht verstanden hat, dass es hier um einen Mord geht, der einen islamfeindlichen Hintergrund hat. Bislang wurden Hinweise auf Islamfeindlichkeit ja eher abgetan und als alarmistisch dargestellt. Das war selbst bei der Islamkonferenz so.
Nimmt die Bundesregierung das Problem nicht ernst genug?
Ja, sie hat das Problem unterschätzt - auch wenn es sich bei dem Mord in Dresden natürlich um eine Einzeltat handelt. Aber das Problem spielt ja auch auf anderen Ebenen, in den Medien oder den hetzerischen Blogs im Internet.
Spielt es bei der Bewertung eine Rolle, dass der Täter ein Spätaussiedler aus Russland ist?
Mir scheint hier eine Minderheitenkonkurrenz eine Rolle zu spielen. Der Mann ist ja erst 2003 nach Deutschland gekommen und dürfte sich als Ausländer fühlen. Vielleicht meint er, dass er sich deshalb als besonders guter Deutscher behaupten muss. Vielleicht hat er sich deshalb auch am rechten Rand orientiert. Wenn man aber die Herkunft des Täters thematisiert, besteht natürlich die Gefahr, dass die Mehrheitsgesellschaft sagt: Das ist deren Problem.
Instrumentalisiert ein Teil der Muslime diesen Mordfall?
Für den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad gilt das natürlich. Bei den deutschen Muslimen hat aber zunächst die Hoffnung überwogen, dass man ihr Entsetzen verstehen würde. Danach hat ein Gerangel um die Frage angefangen, wer sich als bester Kämpfer gegen die Diskriminierung von Muslimen profiliert. Das Wechselspiel mit den Medien hat das verstärkt.
Inwiefern?
In diesem Wechselspiel wird ein Gegensatz konstruiert zwischen den Muslimen, die fordern, Islamophobie als Problem anzuerkennen, und den anderen, denen man damit unterstellt, islamophob zu sein. Diese Konstruktion ist natürlich nicht haltbar, auch weil die ersten Erklärungen zu Dresden von unserem Institut und vom Interkulturellen Rat kamen, also nicht-muslimische Einrichtungen. Stephan Kramer vom Zentralrat der Juden war auch schon unterwegs. Das Thema erhielt aber hier erst in der Breite durch die Proteste in Ägypten Aufmerksamkeit. Und die Ägypter haben sich aus meiner Sicht vor allem über die ausbleibende Reaktion der Politik empört. Wie sich das hochschaukeln kann, haben wir ja beim Karikaturenstreit gesehen.
Es gab Äußerungen, zum Beispiel von der Kanzlerin am Rande des G8-Gipfels.
Ja, aber man hat doch vermutet, dass Frau Merkel nur etwas gesagt, weil sie Mubarak begegnet ist, zur außenpolitischen Schadensbegrenzung also. Das konnte man als Ausdruck von Bedauern und Erkenntnis nicht mehr ernst nehmen.
Kann die Bundesregierung jetzt noch etwas tun?
Für eine glaubwürdige Erklärung ist es zu spät. Jetzt müsste sie wirklich etwas tun: Zum Beispiel eine Forschungsstelle einrichten, eine Anhörung im Bundestag durchführen und Programme zur Bekämpfung von Islamfeindlichkeit implementieren. Damit könnte sie zeigen: Wir nehmen dieses Problem ernst.
Wo sind all die empörten Muslime, wenn eine Frau von muslimischen Männern ermordet wird, weil sie angeblich die Familienehre beschmutzt hat?
Dass sich die muslimischen Organisationen dazu nicht äußern, ist schlicht und einfach ein Mythos. Sie haben sich in den vergangenen Jahren zigfach von solchen Fällen distanziert. Aber die Medien greifen das selten auf, die Öffentlichkeit kann das dann nicht wahrnehmen. Bei uns hier im Fränkischen waren zum Beispiel am vorvergangenen Wochenende die Zeitungen voll von einem messerstechenden Türken, der seine Schwestern angegriffen hat. Von Marwa E. war da nicht die Rede.
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