Medienkritik: Fernsehen ist Krieg
Roger Schawinski, Ex-Sat.1-Geschäftsführer, präsentiert sein Buch "Die TV-Falle" in Berlin. Was ist dran an seiner großen Abrechnung mit dem deutschen Fernsehen?
Wenn Roger Schawinski geradeaus schaut, sieht er einen Unbeteiligten. Gegenüber, an der Wand in Clärchens Ballhaus in Berlin, hängt ein Spiegel. Was Schawinski sieht, ist er selbst.
Roger Schawinski in "Die TV-Falle" über die Entlassungen bei Sat.1: "Sat.1 beschäftigte im Jahr 2006 ( ) nur etwa 270 feste Mitarbeiter. Die Personalkosten belaufen sich damit auf einen tiefen einstelligen Prozentsatz der Gesamtkosten. Einsparungen beim festen Personal können also gar keine maßgeblichen Kosteneffekte auslösen, um einen Turnaround herbeizuführen. In der Logik von Private-Equities-Formen, die sich stark am Finanzmarkt verschulden müssen, erhält die Zahl der Mitarbeiter aber eine zusätzliche Bedeutung, da der Umsatz pro Mitarbeiter als eines der wichtigsten Kriterien im internationalen Effizienzvergleich von Unternehmen einer Branche gilt. ( ) Durch den Abbau von festen Mitarbeitern und die Auslagerung ganzer Bereiche kann man die Kennziffern relativ leicht erhöhen ( ). Genau dies ist in der Sendergruppe ProSiebenSat.1 im Juli 2007 geschehen, da durch den Kauf der Sendergruppe SBS eine gewaltige Verschuldung des Unternehmens nötig wurde. ( ) Der McKinsey-Gott fordert eben immer Menschenopfer auf seinem Altar, und dies auch als weithin sichtbares Zeichen seines Glaubensansatzes."
Er steht im Mittelpunkt der Veranstaltung. Der Saal ist voll von Medienschaffenden, die gekommen sind, um ihn reden zu hören. Den Mann, der mit "Die TV-Falle" ein Buch über Medien vorgelegt hat, das nach zehn Verkaufstagen ein Bestseller ist. Doch er, Roger Schawinski, 62, der von 2003 bis 2006 Sat.1-Geschäftsführer war, schaut wie ein Schaf. Es ist der Blick zum Buch.
"Die TV-Falle" ist ein Buch über die deutsche Fernsehbranche aus ihrem Inneren. Er schreibt über Stars von Sat.1, Ottfried Fischer, Anke Engelke, Alexandra Neldel - niemand von ihnen kommt dabei gut weg. Und über die Konkurrenz zwischen der RTL- und der ProSiebenSat.1-Gruppe, über Kampfprogrammierung und Werbeblöcke. Manchen mutet das Buch wie eine Abrechnung mit der Branche an. Doch es ist eigentlich keine - auch wenn die Wortwahl darauf hindeutet: "Pickelhart" ist Schawinskis Lieblingswort. Fernsehen ist Krieg. Und er beschreibt das eben. "Die TV-Falle" ist eine Mischung aus Reality-TV in Buchdeckeln und erhellender Beschreibung.
Besonders aufschlussreich sind die Kapitel, in denen er nicht über sich und Sat.1 schreibt. "Meine Hauptkritik", sagt Schawinski in Berlin, "richtet sich gegen die Öffentlich-Rechtlichen" - und diese Kritik erscheint nicht unplausibel. "Die senden Telenovelas rauf und runter, Pilcher rauf und runter. Die kopieren die Privaten", sagte er der taz.
Seine zweite Hauptkritik - es ist die brisanteste Stelle des Buches - richtet sich gegen die Regionalfenster, die Privatsender ins Programm nehmen müssen, wenn sie einen bestimmten Marktanteil erreichen. Und vor allem: gegen die Macher. Einer von ihnen ist Alexander Kluge, der mit DCTP Teile des Nachtprogramms von Sat.1 bestückt. "Er ist der private Profiteur einer Regelung, die angeblich die Meinungsvielfalt sichern soll", schreibt Schawinski - dank Kluges Vernetzung mit Medienpolitikern, wie er behauptet. "Die Quote bewegte sich bei diesem Programm natürlich gegen null, und das tut sie bei fast allen Sendungen von Kluge."
Kluges Konter: "Es ist bekannt, dass die großen Sender Sat.1 und RTL auf die Fensterprogramme lieber verzichten würden." Er sagt: "Das Prinzip der Kulturmagazine der DCTP ist es, etwas, was außerhalb des Fernsehens Geltung hat, unverfälscht ins Fernsehen zu bringen. Dadurch wird man manchmal zum Quotenkiller, aber ist keine Quotenhure."
Immerhin also: Schawinski stößt eine Debatte an. Schlechter weg als Kluge kommen die Medienbehörden selbst. Er kritisiert "den direkten, ungebremsten Durchgriff der Politik ins Medienwesen" - die gemeinte Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz war gestern für eine Stellungnahme noch nicht zu erreichen.
Schawinskis Erzählung krankt aber in einem Aspekt: Der Schweizer geriert sich wie ein Zaungast - dabei stand er im Epizentrum von Deutschlands Privatfernsehen. Er schreibt, als habe er den Blick von außen. Er hat ihn aber nicht. Das führt unweigerlich zu Selbstgerechtigkeit. Und so enthält das Buch zwei Hauptaussagen. Erstens: Die deutsche Fernsehbranche ist böse und gemein. Zweitens: ich nicht.
Dass Schawinskis Darstellung nicht die einzige ist, wird auch während der Diskussion in Berlin augenscheinlich. Mit ihm auf der Bühne stehen der Fernsehproduzent Marc Conrad (der mit Schawinski den gefloppten Mehrteiler "Blackout" für Sat.1 produzierte) und der Medienjournalist Michael Hanfeld (FAZ). Schawinski widmet "Blackout" ein ganzes Kapitel - es ist sein Beispiel dafür, dass er auf "Qualität" (sein anderes Lieblingswort neben "pickelhart") bedacht gewesen sei. Das Programm wurde, wie Schawinski schreibt, tatsächlich vor der Ausstrahlung von quasi allen Kritikern gelobt. Das Erstaunen war groß über den Mut, eine solche Reihe für das Privatfernsehen in Auftrag zu geben. Doch der Vierteiler floppte grandios. Schawinskis Hauptschuldiger: der Zuschauer.
Marc Conrad bietet eine andere Interpretation. Statt wie geplant am Donnerstag sei die Reihe am Sonntag gelaufen. Conrad: "Wenn man von Anfang an gesagt hätte, wir machen etwas für den Sonntag, hätten wir das anders konzipiert." Kurz: Schawinski - und das ist nicht Conrads Exklusivdeutung - habe die Schuld am Flop von "Blackout" mitgetragen. Schawinski selbst verliert freilich über die Verlegung der Sendung kein Wort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann