■ Medienkonzerne bereiten sich auf den Fall der Buchpreisbindung vor: Nicht auf Naumann starren
Nach dem jüngsten Willen des Brüsseler Wettbewerbskommissars van Miert soll die länderübergreifende Buchpreisbindung schon ab Januar 1999 fallen. Wäre das schon die Katastrophe, die so oft beschworen wurde? Einerseits nein, denn die nationale Preisbindung innerhalb Deutschlands beziehungsweise Österreichs bliebe ja vorerst bestehen. Andererseits ja, weil dieser Beschluß der Anfang vom Ende auch der nationalen Preisbindung sein könnte – mit genau den Folgen, die gar nicht dramatisch genug ausgemalt werden können: Kleinere, mittlere Verlage und Buchhandlungen hätten angesichts des dann zwingend einsetzenden Preis- und Plazierungskampfs kaum eine Überlebenschance. Konkret hieße das für eine Stadt wie Berlin, daß von den gegenwärtig etwa 400 Buchhandlungen und Verlagen mindestens 300 schließen könnten. Übrig blieben die großen, vor allem die den Konzernen angeschlossenen Unternehmen.
Gerade diese Konzerne (in erster Linie Bertelsmann, Holtzbrinck, Axel Springer Verlag) haben in den vergangenen Monaten eine Steilvorlage nach der anderen für den Brüsseler Kommissar und damit für den Wegfall der Preisbindung gegeben. Angesichts einer fast schon grotesk anmutenden Konzentrationswelle im Verlagsbereich und des rasanten Ausbaus konzerneigener Buchhandelsketten mußte man den Eindruck bekommen, daß die Buchpreisbindung den Verlagsgiganten ein paradiesisches Klima für extremes Wachstum und extreme Gewinne bietet.
Die gegenwärtige aggressive Strategie der Konzerne zielt nicht nur auf konkurrierende Verlage, sondern vor allem auf das klassische Sortiment. Die Großen bereiten sich so auf den Tag X vor, daß ihnen der Fall der Preisbindung nicht schaden würde. Gleichzeitig greifen sie damit aber genau die Vielfalt an, in deren Namen und zu deren Erhalt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels unermüdlich in Brüssel und Bonn interveniert. Sie machen damit seine Position schwierig, wenn nicht gar lächerlich.
Wer die Vielfalt des Buchhandels und damit der Bücher schätzt und erhalten will, sollte daher nicht nur Richtung Brüssel blicken. Kleinere, mittlere Buchhandlungen und Verlage sollten ebenso energisch, wie sie in ihrem ureigenen Interesse die Preisbindung verteidigen, über eine phantasievolle Strategie nachdenken, wie sie gemeinsam ihre Position gegenüber den Konzernen behaupten können. Es reicht nämlich nicht, auf die Kultusminister in Europa zu hoffen, und schon gar nicht auf den kulturellen Wunderheiler Michael Naumann. Denn der kommt von – Holtzbrinck. Rainer Nitsche
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