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#MeToo in deutscher FilmbrancheDas Schweigen hat ein Ende

Schauspielerin Merve Aksoy wirft dem Regisseur Engin Kundağ Machtmissbrauch vor. Ihre Klage wurde in erster Instanz abgewiesen, nun ist die Berufungsverhandlung.

Aksoy und ihr Anwalt: sie lassen sich nicht entmutigen und gehen in Berufung Foto: Christian Ditsch/ullstein

Berlin taz | Merve Aksoy erscheint am Dienstag mit Sonnenbrille und Springerstiefeln vor dem Landesarbeitsgericht Berlin. Um den Hals trägt sie eine Kette mit Venus-Symbol, sie kaut lässig Kaugummi – und wirkt nicht wie eine, die sich mundtot machen lässt.

Dabei scheinen einige genau das zu wollen. Denn Aksoy prangert öffentlich Machtmissbrauch im Film an und erhebt schwere Vorwürfe gegen Regisseur Engin Kundağ: Sie beschuldigt ihn des Machtmissbrauchs während der Dreharbeiten zu „Ararat“, der 2021 in der Türkei gedreht wurde.

Im Frühjahr 2023 reichte sie Klage gegen Kundağ und die Produktionsfirma Zeitgeist beim Arbeitsgericht Berlin ein. Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen. Am Dienstag wird die Berufung verhandelt. Ein Vergleich kommt nicht zustande: Die Gegenseite, die sowohl die Produktionsfirma als auch den Regisseur vertritt, lehnt ab.

Konkret wirft Aksoy Engin Kundağ vor, entgegen einer mündlichen Vereinbarung Nacktaufnahmen, zu denen sie gedrängt worden sei, im Film verwendet zu haben. Vertraglich waren die Aufnahmen nicht vorgesehen. Im Vorfeld der Ausstrahlung des Films bei der Berlinale 2023 wollte sie die Szenen anschauen, das sei ihr verweigert worden. Auf der Berlinale habe sie die Szenen erstmals gesehen.

Kritik wegen unzureichender Schutzmaßnahmen

Zudem soll eine Gewaltszene zwischen Aksoy und ihrem Spielpartner nicht choreografiert, sondern echt gewesen seien und habe sie traumatisiert. Vertraglich war zugesichert, dass es keine Gewalt am Set geben sollte. Aksoy kritisiert, dass keine Stunt- oder Intimitätskoordination vorhanden gewesen sei, obwohl die Filmförderung dies vorschreibt.

2023 zog sie vor Gericht und reichte Klage ein wegen Vertragsbruch und Gewaltausübung am Set ohne Stuntkoordination. Ihre Forderungen: Unterlassung der Verwertung von Nacktaufnahmen sowie Schadensersatz in Form von Schmerzensgeld.

In erster Instanz scheiterte Aksoy. Ihr Anwalt, Ralf Burmester, kritisiert: Es sei „völlig unzutreffend“ entschieden worden seien. „Das Gericht hat die vorgebrachten Beweise, darunter Bilder von Aksoys Verletzungen, unzureichend gewürdigt“, sagt er der taz. Man müsse sich nur den Film und die Fotos von Aksoys Verletzungen ansehen – „dann ist die Kausalität da“, so Burmester.

Das scheinen auch andere so zu sehen: Rund 40 Menschen haben sich am Dienstag vor dem Gericht versammelt, um Aksoy beizustehen. Eine Kundgebung, organisiert von Metoo Germany und Aksoys Kampagne #genuggeschwiegen, macht vor Prozessbeginn auf Machtmissbrauch im Film aufmerksam. Rund 20 Frauen stehen mit Schildern auf der Straße, eine Frau erzählt Aksoys Geschichte: „Ich habe zu lange geschwiegen und das hat mich gebrochen. Heute habe ich meine Stimme gefunden.“

Viel Unterstützung im Saal

Als der Prozess um 11 Uhr beginnt, ist der Saal überfüllt, Zu­schaue­r*in­nen sitzen auf dem Boden, drängen sich bis auf den Flur. Nach der Schilderung des Sachverhalts schlägt die Richterin einen Vergleich vor: Eine Verpflichtungserklärung, dass die Nacktaufnahmen nicht weiter verbreitet werden, sowie eine Spende an Aksoy, jedoch ohne Anerkennung der Rechtspflicht.

Die Richterin schlägt zudem ein Mediationsverfahren vor, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Aksoy und ihr Anwalt akzeptieren, fordern aber zusätzlich 500 Euro für die 6 Male, die der Film mit den Nacktszenen ausgestrahlt wurde.

Die Gegenseite lehnt ab. Zwar bestehe eine „grundsätzliche Bereitschaft“ eine Unterlassungserklärung bezüglich der Nacktaufnahmen abzugeben, da diese „definitiv nicht mehr verwendet“ würden, so der Verteidiger. Dennoch lehnt er ab. Er befürchtet, dass dies als Schuldeingeständnis gewertet und medial ausgeschlachtet werden könnte. „Sie sehen ja den Saal.“

Obwohl die Unterstützung im Saal groß ist, berichtet Aksoy in der Branche seit ihren Äußerungen Ausgrenzung zu erfahren: Agenturen, die sie ablehnen, Jobangebote, die ausbleiben, Kol­le­g*in­nen, die ihr in den Rücken fallen. „Keiner möchte etwas damit zu tun haben. Es ist ein Albtraum.“

Nach der Verhandlung fährt sich Aksoy erschöpft durchs Haar. Auf ihrer Hand steht tätowiert: „Patience“ – Geduld. Die wird sie brauchen. Der nächste Verhandlungstag ist für die Sommermonate angesetzt.

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3 Kommentare

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  • Wenn man nach dem Artikel geht, dann scheint der Fall klar zu sein. Das wird ein leichter Sieg. Dass die angeklagte Seite nicht auf den Vergleich eingeht, ist entweder naiv oder es fehlen Informationen im Artikel, welche einen anderen Ausgang möglich machen könnten.

  • Es wäre hilfreich wenn der Artikel konkrete Fakten nennen könnte, was vertraglich vereinbart war und aus welchen Gründen die Schauspielerin zu davon abweichenden Filmaufnahmen eingewilligt hat.

    • @womzie:

      Zustimmung.



      Ebenso hilfreich: Die Begründung der Ablehnung im ersten Gerichtsentscheid.