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Max Goldt neues Buch „Aber?“Kurven bauen und Kurven kriegen

Schön an Max Goldt neuem Buch „Aber?“ sind nicht nur die Erinnerungen an Wiglaf Droste. Nur mit der Sprache hadert der Autor unzeitgemäß.

Schal(k) im Nacken: Max Goldt Foto: Andreas Rost
Konstantin Nowotny

Von

Konstantin Nowotny aus Berlin

taz | Es gibt eine Szene in der US-Zeichentrickserie „The Simpsons“, in der eine aufgebrachte Mutter bei einer Angelegenheit, die mit Kindern überhaupt nichts zu tun hat, verzweifelt ausruft: „Kann denn nicht wenigstens einmal auch jemand an die Kinder denken?“

Der Gag funktioniert eher in den USA, denn das Wohlbefinden von Kindern gilt dort als Argument, das jederzeit und überall gültig ist und deswegen besonders gern von rechten und konservativen Scharfmachern als Nebelkerze benutzt wird. In Deutschland hingegen interessiert sich für Kindeswohl bekanntermaßen keine Sau.

Würde man die „Simpsons“-Szene hierzulande mit vergleichbarem humoristischen Gehalt reproduzieren wollen, müsste der Satz vielleicht lauten: Kann denn nicht wenigstens einmal auch jemand an die Sprache denken? Denn wenig bringt Deutsche so sehr auf die Palme, wie wenn jemand an ihren geliebten Wörtern herumzuschrauben droht. „Gender-Wahn“ und „Genderismus“ sind längst geläufige Kampfbegriffe im konservativen bis rechtsextremen Spektrum, randvoll mit künstlicher Erregung.

Gassenhauer Sprachverfall

Bücher, die vor dem Verfall der deutschen Sprache warnen, verkaufen sich verlässlich seit Erfindung der Buchpreisbindung. Und knapp zwanzig Jahre später gibt es immer noch Autorinnen und Autoren, die sich der Rechtschreibreform von 1996 verweigern.

Rotes Buchcover von Max Goldt mit dem Titel „Aber?“ in verschnörkelter, großer weißer Typografie
Bild: dtv
Das Buch

Max Goldt: „Aber?“. dtv, München 2025. 160 Seiten, 24 Euro

Einer davon ist der Schriftsteller Max Goldt, über dessen zahlreiche Veröffentlichungen in der Regel geurteilt wird, sie seien kleine Festspiele der deutschen Sprache, auch und gerade, weil er sich der Modernisierung derselbigen ein Stück weit entsagt.

Sein neuestes Buch trägt den Titel „Aber?“. In gewohnt literarisch freimütiger Art und Weise widmet er sich dort dem nicht nur sprachlichen Alltag. Was er nicht so direkt ausdrücken möchte, verpackt er in kleine Dramolette.

Von Frisöse zu Friseurin

In einer Szene, die sich eingangs mit der Ablösung des Wortes „Frisöse“ durch „Friseurin“ beschäftigt, findet etwa dieser Dialog statt: „Der Bourgeois: Ich gönne Ihnen Ihre ‚subtile‘ Mutter, aber heute hat man Respekt vor Frauen! Das Kerlchen: Na klar! Weiß ich doch! Haben Sie schon gehört, daß der Platz vor dem Kölner Bahnhof umbenannt werden soll in ‚Platz des Respekts vor Frauen‘?“

Die einen streiten über die fortschrittlichste Vokabel, während in derselben Gegenwart, wie etwa zur „Kölner Silvesternacht“ 2015, Frauen so scheußlich behandelt werden wie in grauer Vorzeit. Witzig! Clever! Fast will man das Buch energisch zuklappen und eine Folge „Nuhr“ in der ARD schauen, wo ein anderer Mann Witze macht, die in die exakt selbe Kerbe – wohl eher: Kerb*in, hehe – schlagen, nur eben ohne literarische Begabung.

In seiner beobachtenden Prosa schreckt er glücklicherweise vor der Dummheit zurück

Es wäre aber doch reichlich unfair, Max Goldt in eine Schublade mit dieser unsäglichen Zunft zu stecken, die sich in Deutschland „Kabarettist“ – schlimmer noch: „Comedian“ – nennt. Zwar ist die Haltung manchmal vergleichbar, vor Dummheit schreckt der Autor in seinen prosaischen Beobachtungen aber glücklicherweise doch konsequent zurück. Einmal beschreibt er eine fiktive Zukunft „voller Moscheen“, baut dann aber eine Kurve, die er auch kriegt: In der erdachten Welt sind alle Moscheen verlassen, weil es keine religiösen Menschen mehr gibt.

Liebevoll und unpathetisch

Besser gelingen ihm Kapitel, die kein Kommentar zum Zeitgeist sein wollen. Die Anekdoten aus seinem Autorenleben sind farbenfroh und weise, seine Erinnerung an den verstorbenen taz-Autor Wiglaf Droste ist wunderbar liebevoll und erstaunlich frei von Pathos.

Auch eine sonst klassisch konservative Disziplin – die Litanei gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – gerät ihm kongenial: „Sollte aber jemand in nächster Zeit nach Hamburg oder Mainz kommen, möchte ich darum bitten, dort doch mal an die entsprechenden Türen zu klopfen und eindringlich, aber höflich zu fragen, ob es nicht möglich wäre, sich ein bißchen mehr Mühe zu geben.“

Dennoch will man Goldt von Zeit zu Zeit an sich selbst erinnern, zum Beispiel an diese Passage aus seinem Buch „Wenn man einen weißen Anzug anhat“ (2001): „Kabarettisten und ihr Publikum erwecken schon seit zehn, fünfzehn Jahren den Eindruck, es gebe nichts Lächerlicheres als gesunde Ernährung, Friedens- und Umweltaktivitäten, Emanzipation benachteiligter Gruppen etc. […] Kabarettisten und Comedians sind heute Handlanger des Backlash, Formulierungshelfer des Establishments.“

Da schreibt Goldt auch „bisschen“ noch mit „ß“, „telefonieren“ mit „ph“ und – oh Schreck, das tut er ja immer noch! Kann denn nicht wenigstens einmal auch jemand an die Sprache denken?

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