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MauerGuideDer Mauer auf den Grund gehen

Kommentar von Juliane Wiedemeier

Die häufigste Frage von Berlin-Besuchern ist: "Wo steht die Mauer?" Ein elektronischer Führer liefert die Antworten und fünf Stunden Ton- und Filmdokumente über das Bauwerk

Mauer-Geschichte auf Knopfdruck Bild: ap

Der Checkpoint Charlie ist blockiert, Touristengruppen und Schulklassen verstopfen die Bürgersteige. "Wo ist denn die Mauer?", fragt eine Schülerin, stellvertretend für viele Besucher, "irgendwo hier sollte sie doch sein." Ein Bus muss scharf bremsen, weil drei Italiener einfach auf die Straße laufen, als ob sie von dort besser zu sehen wäre - die längst abgerissene Mauer. Um den irritierten Touristen zu helfen, wird es ab 1. Mai einen elektronischen MauerGuide geben. Er ist jüngster Spross des vom Senats entwickelten Gesamtkonzepts Berliner Mauer.

Für 6 Euro können Mauer(be)sucher sich an mehreren Orten entlang des Mauerstreifens das handliche Gerät ausleihen - und mit ihm das Aussehen eines wichtigen Geschäftsmannes: Groß wie ein elektronischer Organizer, besteht es fast ausschließlich aus einem Bildschirm, auf dem man mit dem Finger oder einem mitgelieferten Stift die einzelnen Menüpunkte auswählen kann. Dank satellitengesteuertem GPS ortet es den aktuellen Standpunkt und vermeldet zum Beispiel: Checkpoint Charlie.

Ein Klick auf den großen Button am unteren Bildschirmrand - und schon berichtet die Maschine vom geteilten Berlin und den Checkpoints Alpha, Bravo und eben Charlie. Auf dem Schirm laufen dazu historische Filmaufnahmen, am Schluss sieht man den Grenzkontrollpunkt 1990 beim Abbau in den Himmel entschweben.

Anschließend kann man vertiefende Informationen aus dem insgesamt fünf Stunden umfassenden Fundus des Guides abrufen, mit einem Quiz rund um den Checkpoint sein Gedächtnis testen oder das GPS herauszufordern. Eine Berührung des Bildschirms, und schon sieht man wieder seinen Standpunkt auf der Karte und erkennt, dass es nicht weit ist bis zum nächsten der 22 Mauerstandpunkte, über die der Guide zu erzählen weiß.

An der Niederkirchnerstraße entlädt sich vor dem Martin-Gropius-Bau ein Touristenbus, aus dem Lautsprecher des kleinen MauerGuides tönt: "Hier spricht das Studio am Stacheldraht!" Auf dem Display erscheint die gleiche Straße Anfang der 60er-Jahre, geteilt durch die Mauer. An deren Westseite parken VW-Busse mit großen Lautsprechern auf den Dächern, das Studio am Stacheldraht beschallt den Ostteil mit Westpropaganda, dieser antwortet mit sozialistischem Liedgut. Auch solche, aus heutiger Sicht absurde historische Anekdoten kennt der Mauerführer, was ihn nicht nur für Touristen interessant macht.

Insgesamt 500.000 Euro hat das Projekt gekostet, die Neuvermessung von 80 Quadratkilometern Stadtfläche inklusive. "Die war nötig, um eine optimale Fußgängernavigation zu gewährleisten", erklärt Rosemarie Wirthmüller von Antenna Audio. Das Unternehmen, das weltweit seit mehr als 20 Jahren Audioführungen für Museen und Sehenswürdigkeiten anbietet, hat die komplette Finanzierung übernommen. Der Senat agiert lediglich als Lizenzgeber. "Dank unserer Führungen in Stonehenge und Versailles haben wir bereits Erfahrungen im Außenbereich. Dennoch war der MauerGuide als umfangreichste Outdoorführung seiner Art in Deutschland eine besondere Herausforderung", berichtet Wirthmüller.

Ausleihen kann man ihn an fünf extra zu diesem Zweck aufgestellten Kiosken, den so genannten bboxxen. Die Startauflage der Deutsch und Englisch sprechenden Geräte liegt bei 500 Stück, bei entsprechender Nachfrage soll aber nachgerüstet werden. "Wir sehen den MauerGuide als Pilotprojekt. Wenn es gut läuft, sind in Zukunft durchaus auch elektronische Touren zu anderen Themenbereichen wie durch das Berlin der Kaiserzeit oder des Dritten Reiches denkbar", sagt Wirthmüller optimistisch.

Grenzen setzt lediglich die Akku-Laufzeit - nach spätestens acht Stunden vermeldet der MauerGuide nur noch: "Bitte an die Stromversorgung anschließen."

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