Mathe und Naturwissenschaften: Der Osten sackt ab
Das Leistungsniveau deutscher SchülerInnen bleibt stabil. Ostdeutsche Länder büßen aber ihren Vorsprung ein – und Jungs verschlechtern sich.
Allerdings bekommt das schöne Gesamtbild bei näherem Hinschauen einige Kratzer. So haben sich die Kompetenzen der Schüler in keinem einzigen Bundesland verbessert. In einigen Ländern, darunter die ostdeutschen Länder Brandenburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, verfehlen sogar deutlich mehr SchülerInnen als vor sechs Jahren die Mindeststandards in einem oder mehreren Fächern. Und: Die Unterschiede zwischen den Ländern sind weiterhin riesig, die soziale Kopplung zwischen Herkunft und Leistung substantiell: Wer sozial bevorteilt ist, hat auch bessere Leistungen.
Auf die Bildungsstandards haben sich die KultusministerInnen der Länder Anfang des Jahrtausends geeinigt, um Vergleichbarkeit und Transparenz ins föderale System zu bringen. Sie legen fest, was SchülerInnen am Ende der zehnten Klasse in den Hauptfächern können sollen. Das heißt etwa für Mathematik: Man muss mathematisch argumentieren, Probleme lösen und mit Modellen arbeiten können.
In regelmäßigen Abständen lässt die Politik durch das IQB überprüfen, ob und zu welchem Anteil die SchülerInnen die Standards erfüllen – für Mathe und Naturwissenschaften nun zum zweiten Mal seit 2012.
Zuwanderung spielt keine Rolle
Stabil geblieben ist seitdem auch der Anteil derjenigen SchülerInnen, die die Mindestanforderungen verfehlen, oder korrekter gesagt: verfehlen würden. Denn getestet werden Neuntklässer ein Jahr vor den Prüfungen für den Mittleren Schulabschluss. In Mathematik würde ein Viertel durchfallen, im Fach Chemie sind es bis zu 17 Prozent.
Die hohe Durchfallquote in Mathematik lässt sich noch relativ leicht erklären: Für den Bildungstrend werden auch all jene SchülerInnen getestet, die einen Förder- oder Hauptschulabschluss machen und für die deshalb eigentlich niedrigere Standards gelten. In den Naturwissenschaften werden hingegen nur die SchülerInnen getestet, die tatsächlich den Mittleren Schulabschluss anstreben.
Schwieriger zu deuten, ist das Absacken der ostdeutschen Bundesländer. In Brandenburg ist der Anteil der Jugendlichen, die die Regelstandards in Mathe erreichen, seit 2012 um über 10 Prozentpunkte gesunken, in Chemie sogar um fast 20 Prozentpunkte. Das Land ist weder bevorzugtes Ziel von Zuwanderern noch hat sich der Anteil von FörderschülerInnen in Regelschulen sprunghaft erhöht. Das zuständige SPD-geführte Ministerium gab auf taz-Anfrage bekannt, man werde am Freitag Vormittag eine Stellungnahme herausgeben.
Weniger Fachlehrer als zu DDR-Zeiten
Erste Antworten bekam die taz jedoch aus Thüringen. Auch dort liegt der Anteil der SchülerInnen mit Zuwanderungshintergrund wie in Brandenburg im einstelligen Bereich – bundesweit hat jede dritte SchülerIn mindestens ein Elternteil, welches im Ausland geboren ist. Dennoch ist der Anteil der Thüringer Neuntklässler, die die Regelstandards in den Fächern Biologie, Chemie und Physik erreichen, gegenüber 2012 um etwa 10 Prozentpunkte zurückgegangen.
Der für die Schulen zuständige Minister Helmut Holter von der Linken macht den Mangel an ausgebildeten FachlehrerInnen verantwortlich. Die Absolventenzahlen gingen bundesweit zurück. „Früher gab es einfach zahlenmäßig mehr gute Lehrkräfte für Chemie, Physik, Biologie und Mathe. Die ostdeutschen Länder haben lange von in der DDR ausgebildeten Lehrern profitiert“, so Holter.
Im gesamtdeutschen Vergleich liegen die mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen der ostdeutschen SchülerInnen trotz des Absackens weiterhin im oder über dem Durchschnitt. Die Länder haben also lediglich ihren Vorsprung verringert.
Zum Vergleich: In Bremen verfehlen über 40 Prozent der SchülerInnen die Mindeststandards im Fach Mathematik, in Thüringen sind es 20 und in Bayern nur 17 Prozent. IQB-Direktorin Stanat betont jedoch, bei den Ländervergleichen handle es sich ausdrücklich nicht um ein Wettrennen.
Gymnasien schneiden schlechter ab
Ausgerechnet in der kompetitivsten Schulform, den Gymnasien, stellen die Bildungsforscherinnen „insgesamt ungünstige Veränderungen“ fest. Diese ließen sich jedoch nicht auf die Besuchsquote zurückführen, denn die sei stabil geblieben. Die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sieht einen Zusammenhang zum Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung in ihrem Land. Die rot-grüne Vorgängerregierung hatte diese abgeschafft. „Wir müssen uns die Frage stellen, ob der Wegfall der Grundschulempfehlung sinnvoll war“, so Eisenmann.
Noch eine Entwicklung gibt Rätsel auf. So stellten die Bildungsforscherinnen fest, dass von ungünstigen Entwicklungen „insbesondere Jungen“ betroffen waren, und zwar insbesondere im „Jungenfach“ Mathematik. Zwar haben sie hier nach wie vor einen leichten fachlichen Vorteil, in den Naturwissenschaften liegen die Mädchen aber gleichauf oder schneiden, wie in Biologie, besser ab.
Dem gegenüber steht ein ungebrochenenes Selbstbewusstsein: Jungen schätzen ihre Fähigkeiten und ihr Interesse für das Fach deutlich besser ein als Mädchen. Am größten ist die Kluft zwischen Schein und Sein in Physik, obwohl es bei den Kompetenzen keine Unterschiede mehr zwischen den Geschlechtern gibt.
Für die aktuelle Studie haben 45.000 SchülerInnen Tests bearbeitet, darunter auch alle Geflüchteten, die seit 2015 zugewandert sind und mindestens ein Jahr in Deutschland die Schule besucht haben.
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