Massentierhaltung: Hühnerstall im Heilbad
In Ostfriesland sollen 27 Hähnchenmastbetriebe gebaut werden - in einer Gegend, in die Asthmakranke zur Genesung kommen. Doch Ställe verseuchen die Luft mit gefährlichen Bakterien.
Ostfrieslands heimliches Wappentier, die schwarzbunte Kuh, hat ausgedient. In Zukunft wird sie wohl durch ein Grillhähnchen ersetzt. Nachdem durch immer niedrigere Milchpreise die Viehwirtschaft unrentabel geworden ist, droht der Region eine wahre Invasion von Hähnchenmastställen.
27 Anlagen mit einer Kapazität von 40.000 bis 80.000 Tieren pro Stall und Mastphase (sechs Wochen) sind in Planung. Für drei Ställe liegen Bauanträge vor. Offiziell sind die für 39.999 Tiere pro Anlage ausgelegt. Erst ab 40.000 muss die Öffentlichkeit bei der Bauplanung einbezogen werden.
Diese Öffentlichkeit aber scheut Bauer Albert Martens aus Westermarsch / Norden-Norddeich (Landkreis Aurich) wie der Teufel das Weihwasser. Er will vor seinem Hof zumindest eine Mastanlage bauen. Doch eine Bürgerinitiative (BI) will das verhindern.
"Die heilende Seeluft macht traditionell den Charakter der Küste aus", sagt Martens Nachbar und BI-Mitglied Herrmann Buss. Buss ist lungenkrank. "Sollten die Ställe gebaut werden, müssten wir umziehen", befürchtet Buss. Unterstützung bekommt er von Thomas Fein.
Der Praktische Arzt aus Greetsiel ist Sprecher der Bürgerinitiative gegen Mastställe in Ostfriesland: "Es ist unfassbar, Norddeich ist gerade mit EU-Subventionen zum Heilbad ausgebaut worden. Tausende Asthmakranke suchen hier jedes Jahr Linderung", sagt er. Die ganze Küste werbe mit diesem Heilklima und die industriellen Mastställe verseuchten die Luft mit Bakterien. "Die Gefahr der Grippeerkrankungen und allergischen Reaktionen erhöht sich in der Nähe von Mastställen drastisch", sagt Fein. Noch gefährlicher sind die sogenannten Orsa-Bakterien, sagt der Arzt.
Osra-Bakterien sind resistente Bakterien, die sich in der Massentierhaltung schnell vermehren. Ein Gegenmittel gegen die Krankheitserreger gäbe es nicht, so Fein.
Die Westermarsch liegt direkt an der streng geschützten Ruhezone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. Große Teile gehören zu einem Vogelschutzgebiet. Merkwürdigerweise machen die Schutzgebietsgrenzen, sonst schnurgerade wie auf dem Reißbrett gezogen, einen weiten Bogen um den Martenshof. "Jedes Jahr ziehen hier hunderttausende Zugvögel durch. Die Tiere würden neben den Mastställen auf den Gülle getränkten Weiden äsen. Besser können sich Seuchen gar nicht verbreiten", sagt Fein.
Deutschlands Industrie-Fleischzentrum um Vechta und Cloppenburg gilt wegen der hohen Maststalldichte als verseucht. Neue Genehmigungen für Mastställe sind schwer zu kriegen. Deswegen wirbt die Landwirtschaftskammer Weser Ems für die Mastställe in der "Gesundlage an der Küste". In Wietze bei Celle soll Europas größter Hähnchenschlachthof gebaut werden. Tagesleistung fast eine halbe Millionen Schlachtungen. Dieser Moloch braucht Futter. Schon lange geht es beim Boom der Mastställe nicht mehr um die regionale oder nationale Versorgung mit Geflügelfleisch.
Laut niedersächsischem Landwirtschaftsministerium ist der nationale Markt für Geflügelfleisch gesättigt. Durch einen europaweiten Preiskampf haben Konzerne wie Wiesenhof oder Rothkötter die Geflügelpreise durch Massenproduktion in den Keller gedrückt. Trotz anderer Versprechen der Industrie sind die Gewinnspannen der Geflügelbauern niedrig. "Der Gewinn liegt nach Abzug aller Unkosten pro Tier unter 10 Cent", rechnet ein bayrischer Lohnmäster von Rothkötter vor.
Der Überschuss an Hähnchenfleisch soll daher verstärkt nach Afrika exportiert werden. "Eine Katastrophe", so der Evangelische Entwicklungsdienst (EED). "Das Billigfleisch zerstört die afrikanischen Märkte." Dort haben Kleinbauern versucht mit Geldern aus der Entwicklungshilfe Kleinzuchtbetriebe für Hühnerfleisch aufzubauen. In Ghana sind 95 Prozent dieser Kleinbauern laut EED pleite.
"Massenmast ist Tierquälerei", schimpft Herrmann Buss. Hier habe die EU ein Eigentor geschossen. Neben ungezügeltem Gebrauch von Antibiotika in der Massenmast hat sie eine Bestandsdichte von 25 Tieren pro Quadratmeter Maststall erlaubt. Als "tierschutzgerecht" aber gibt sie selbst eine Bestandsdichte von knapp der Hälfte der Tiere pro Quadratmeter an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen