Massenkrawalle nach Wahl im Iran: Die Mogel-Mullahs
Der Wahlbetrug im Iran gleicht einem Staatsstreich. Mit Repression versucht Machthaber Ahmadinedschad nun, die entglittene Kontrolle wiederherzustellen.
"Gebt unsere Stimmen zurück", skandieren die Demonstranten seit dem Wahldebakel im Iran auf den Straßen. Sie fühlen sich betrogen, gedemütigt, missbraucht. Sie sprechen von dem größten Wahlbetrug in der dreißigjährigen Geschichte der Islamischen Republik. Und sie haben Recht damit.
USA: Das Weiße Haus veröffentlichte am Samstag eine Erklärung, in der Präsident Barack Obama "die lebhafte Diskussion und den Enthusiasmus" lobte, die die Wahl vor allem bei jungen Iranern ausgelöst habe. Er sei aber zugleich besorgt angesichts von "Berichten über Unregelmäßigkeiten".
Frankreich: Der französische Außenminister Bernard Kouchner sagte, seine Regierung sei "sehr besorgt" über die Lage im Iran. Er kritisierte die "brutale Reaktion" der Behörden auf die Proteste.
Venezuela: "In Präsident Ahmadinedschad haben wir einen der größten Verbündeten auf dieser Welt", sagte venezolanische Präsident Hugo Chávez.
Syrien: Der syrische Präsident Baschar Assad sagte, er rechne mit anhaltenden freundschaftlichen Beziehungen und verstärkter Zusammenarbeit.
Afghanistan: Der afghanische Präsident Hamid Karsai lobte in einem Telefonat mit Ahmadinedschad insbesondere die hohe Wahlbeteiligung - sie lag bei 85 Prozent.
Russland: "Ahmadinedschad war in seiner abgelaufenen Amtszeit oft zu Recht kritisiert worden und auch für Russland nicht jener angenehme Partner, den wir uns wünschen", sagte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Staatsduma am Samstag in Moskau. (dpa, ap)
Ursprünglich sollte nach dem Willen der Staatsführung diese Präsidentenwahl demonstrieren, dass der Iran eine offene Gesellschaft ist, dass das Volk geschlossen hinter der Regierung steht und dieses Regime sich freie Wahlen leisten kann. Während bei den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen die Beteiligung peinlich niedrig war, sollte in diesem Jahr ein Rekord erzielt werden, von dem selbst demokratische Länder träumen können. Mir Hossein Mussawi schien als Kandidat zur Mobilisierung der Nichtwähler geeignet zu sein. Als im Grunde Konservativer, der auch Reformen fordert, bildete er aus der Sicht der Staatslenker kein Risiko. Man konnte sogar Fernsehduelle zwischen den Kandidaten zulassen, was in der Islamischen Republik einmalig war.
Aber es kam anders. Die iranische Zivilgesellschaft, allen voran Frauen und Jugendliche, nutzte nach den vierjährigen sinisteren Regierungszeit Mahmud Ahmadinedschads die Gelegenheit, den Wahlkampf zu einer landesweiten Protestbewegung zu verwandeln. Damit entglitt nicht nur dem Kandidaten Mussavi, sondern der gesamten Staatsmacht die Kontrolle über die Dinge. Die Fernsehduelle entlarvten das ganze korrupte System, die Fronten zwischen den Reformer und den islamistischen Konservativen wurden immer härter, es kündigte sich genau das an, was die Islamisten wie der Teufel das Weihwasser fürchten: eine sanfte Revolution.
Davor warnen die ultrarechten Zeitungen seit Monaten. Der Westen habe die Kriegspläne gegen die Islamische Republik vorerst aufgegeben und versuche nun, durch eine sanfte Revolution von innen her einen Regimewechsel herbeizuführen. Und dann kam dieser Wahlkampf, der mit allen Tabus brach und in dem unerhörte Forderungen erhoben wurden: Gleichberechtigung von Männern und Frauen, uneingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, Auflösung der Sittenpolizei. Hätte Mussawi mit diesen Forderungen und mit der Unterstützung der gesamten Zivilgesellschaft die Wahl gewonnen, wäre das ganze System aus den Fugen geraten. Dem musste unbedingt Einhalt geboten werden. Aber wie?
Eine Woche vor der Wahl veröffentlichte das Organ der Revolutionswächter, die Tageszeitung Sobhe Sadegh eine Erklärung, in der es hieß, die Revolutionsgarden würden jeden Versuch einer sanften Revolution im "Keim ersticken". "Wir haben nicht soviel Opfer gebracht, damit am Ende einpaar verwestlichte Kerle und Kollaborateure unsere Zukunft bestimmen", hieß es. Am Vorabend der Wahl verkündete Kayhan, die auflagenstärkste Zeitung der Rechten, ähnliches.
Am Wahltag wurde vielen offiziell vom Innenministerium legitimierten Beobachtern, die die Reformer gestellt hatten, der Zugang zu den Wahllokalen verweigert. Auch tausende von mobilen Urnen konnten nicht kontrolliert werden. An zahlreichen Wahllokalen fehlten die Stimmzettel, obwohl das Innenministerium nach eigenen Angaben weit mehr als benötig Stimmzettel zur Verfügung gestellt hatte. Im Laufe des Tages wurde das SMS-Netz stundenlang gekappt und Internetverbindungen wurden unterbrochen. Ab 17 Uhr wurde jede Versammlung verboten und ein Aufgebot von Militär, Polizei und Geheimpolizei marschierten auf den Straßen auf. Offensichtlich war die Staatsführung auf Proteste vorbereitet.
Kurz nach elf Uhr - da waren einige Wahllokale noch geöffnet und noch keine einzige Stimme gezählt - meldete die staatliche Nachrichtenagentur IRNA den überwältigenden Sieg von Ahmadinedschad. Nach drei Stunden gab das Innenministerium bekannt, dass 20 Millionen der Stimmen gezählt seien und Ahmadinedschad mit 69 Prozent deutlich in Führung liege. Zwei Stunden später waren angeblich weitere zehn Millionen Stimmen gezählt worden, und Ahmadinedschad lag immer noch bei 69 Prozent. Für den Rest brauchte das Ministerium aber weitere sechs Stunden. Das Endergebnis wurde ohne jede regionale Aufschlüsselung der Stimmen; erst später hieß es, Mussawi habe in der Hauptstadt gewonnen.
Zwar muss der Wächterrat das Wahlergebnis noch bestätigen. Doch Revolutionsführer Ali Chamenei hatte es offenbar so eilig, dass er vor einer Stellungnahme des Wächterrats Ahmadinedschad zu seinem Sieg gratulierte und die Wahl als völlig korrekt bezeichnete. Die hohe Wahlbeteiligung von über achtzig Prozent sei eine eindeutige Bestätigung dafür, dass das Volk geschlossen hinter der Staatsführung stehe, sagte er.
Der eklatante Wahlbetrug gleicht einem Staatsstreich. Fragt sich nur wie die Machthaber nun mit einem Volk umgehen wollen, das sie mehrheitlich nicht haben will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin