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Massenkonfiszierung„Eine nicht enden wollende Quälerei“

Aramäer stellen die älteste nicht muslimische Gemeinde in Anatolien. Jahrzehntelang hat der türkische Staat sie enteignet, zuletzt um 50 kirchliche Besitztümer.

Eines ihrer wichtigsten religiösen Zentren liegt in Mardin: Das Kloster Mor Gabriel Foto: dpa

Am Mittwoch, den 5. Juli 2017, hat das Governeuersamt der südostürkischen Provinz Mardin den Beschluss über die Massenkonfiszierung kirchlicher Besitztümer der aramäischen Religionsgemeinde kommentarlos aufgehoben. Dies bestätigte auch Kuryakos Ergün, Vorsitzender der aramäischen Stiftung Kloster-Mor-Gabriel.

Noch vergangene Woche hatte der Regierungsbezirk von Mardin bekanntgegeben, dass rund 50 aramäische Besitztümer wie Kirchen, Klöster, Friedhöfe, sowie Ackerland und Weingüter über das staatliche Staatsamt der islamischen Religionsgemeinde Diyanet beziehungsweise der Stadtverwaltung übertragen werden sollten.

Gesetz zur Verstädterung

Nachdem diverse aramäische Stiftungen und Dachverbände, in der Türkei und Deutschland, juristische Gegenschritte gegen den Mardiner Beschluss ankündigten, hat das Governeursamt überraschend den Übertragungsvorgang ausgesetzt. Ergün zufolge löse das aber nicht die Probleme seiner Gemeinde. Solange die Grundbucheinträge beim Staat liegen, könne dieser über die Nutzung verfügen.

Bild: privat
Uygar Gültekin

1985 geboren. Schreibt über aktuelle Politik, Menschenrechte, Minderheiten. Wurde 2008 mit dem Musa Anter Journalismus-Preis ausgezeichnet. Arbeitet für Agos.

Die Übertragung der aramäischen Besitztümer geht auf das 2012 erlassene Großstadt-Gesetz zurück. In diesem wird die Neuordnung der städtischen Kommunalverwaltungen im Zuge der Verstädterung ländlicher Regionen reguliert. Darunter fällt zum Beispiel auch die Praxis sogenanntes Dorfeigentum in die Kommunen einzugliedern. Seit 2016 bekannt wurde, dass die Provinz Mardin zur Großstadt wird, läuft die Organisation der Umverteilung. Wir befinden uns in einer extrem schwierigen Phase“, so Ergün. Juristisch sei das eine nicht enden wollende Quälerei.

Älteste nicht-muslimische Gemeinschaft in Anatolien

Die Aramäer sind eine der ältesten nicht-muslimischen Gemeinschaften in der Türkei. Schätzungen zufolge leben aktuell noch 35.000 Menschen aramäischer Herkunft in der Türkei. Die meisten von ihnen in Istanbul (ca. 20.000), der Rest verstreut über die Provinzen Şırnak, Antakya, Adıyaman, Hakkari, Diyarbakır und Mardin.

Aufgrund jahrzehntelanger Kämpfe in der Region (zwischen der türkischen Regierung und der PKK, Anm.d.Red) sahen sich viele Aramäer zur Emigration gezwungen. So leben nur noch rund 3000 Aramäer im Bezirk Midyat und Umgebung in der Provinz Mardin. Mit seinen Hunderten von Kirchen ist Midyat und die Gegend um das Gebirgsbegiet Tur Abdin heiliges Land für sie. Ihre wichtigsten religiösen Zentren, wie das Kloster Mor Gabriel, liegen in Mardin.

Garantie von Minderheitenrechten

In der Türkei sind Grundrechte und -freiheiten von Minderheiten, sowie ihr Recht auf Bildung und Religionsausübung im Lausanner Vertrag garantiert. Der Definition nach handelt es sich bei Aramäern um eine zu anerkennende Gemeinschaft, doch der türkische Staat beraubt sie seit Jahren ihrer Rechte. Eigentum, Bildung und Religionsausübung sind ein stetes Problem. (Im Laussaner Vertrag werden explizit keine religiösen Gruppierungen benannt. Dennoch behandelt der türkische Staat nach osmanischer Tradition nur Griechen, Armenier und Juden als eigenständige Minderheit, Anm.d.Red).

Seit Jahren bemühen sich Aramäer nachzuweisen, dass das Kloster Mor Gabriel, eines ihrer wichtigsten religiösen Zentren, ihrer Gemeinde gehört. Es gab diverse Prozesse darum. Zwar deklamierte die Regierung im Rahmen seines damaligen Demokratisierungspakets, das Kloster sei zurückgegeben, tatsächlich aber wurde nur ein Teil der Grundbucheinträge retourniert. Vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof sind diesbezüglich weitere Prozesse anhängig.

Kampf um Sprache und Kirche

Zur Auf­recht­er­hal­tung der aramäischen Sprache, wollte die Gemeinschaft Schulen eröffnen. Dies gelang ihnen bisher nur in Istanbul, in Form einer Grundschule. Es gibt keine weiterführenden Schulen, auf denen die Kinder weiter auf Aramäisch unterrichtet werden können. Der Staat, an den auch aramäische Bürger Steuern zahlen, kommt ihrem Bildungsauftrag nicht nach. Um ihre Schule weiter betreiben zu können, sammeln sie daher regelmäßig Spenden.

Mit Mühe und Not gelang es den Aramäer zumindest den Staat davon zu überzeugen, eine eigenständige Religion zu sein und damit den Bau einer eigenen Kirche zu genehmigen. Schließlich wurde in Istanbul, wo die größte aramäische Gemeinde lebt, der Bau einer Kirche genehmigt. (Der erste genehmigte Kirchenbau seit Gründung der Republik 1923, Anm.d.Red).

Es fand sich ein Grundstück im Istanbuler Stadtteil Yesilköy, das sich aber als Friedhof einer römisch-katholischen Gemeinde herausstellte. Statt in dem Problem zu vermitteln, wiegelte der Staat die beiden Glaubensgemeinschaften gegeneinander auf. Noch immer hat die aramäische Gemeinde keine eigene Kirche in diesem Stadtteil.

Eigentum erwerben war verboten

Bis vor 15 Jahren (Reformation des Stiftungsgesetzes 2002, Anm.d.Red) war es Stiftungen nicht-islamischer Gemeinschaften in der Türkei verboten, Eigentum zu erwerben. Unter diesem Verbot wurde der Besitz von aramäischen Stiftungen auf andere Organisationen übertragen. Auch Staatsbeamte, Dorfschützer und [muslimische] Dorfbewohner ließen häufig nicht zu, dass Aramäer ihren eigenen Besitz nutzen konnten, von dem alle wussten, dass er ihnen gehört.

Mancherorts wiederum vergriffen sich Bauern und Dorfvorsteher nicht an dem von Aramäern genutzten Grund und Boden. Dort konnten Aramäer über Jahre ihre Grundstücke nutzen und ihre Kirchen und Klöster führen. Es erforderte allerdings etliche Prozesse, damit ihnen die entsprechenden Grundbücher überschrieben wurden.

Prozesse zur Rückforderung ihres Eigentums

Seit rund 10 Jahren versuchen die nicht-islamischen Stiftungen mühevoll ihren Besitz zurückzuerhalten. Nach einer Reihe staatlicher Verordnungen wurde symbolträchtige Besitztümer, wie die Grundstücke des griechischen Fener-Rum-Gymnasiums und der Priesterakademie an die nicht-islamischen Stiftungen zurückgegeben. Auch verlangte der Staat von den Gemeinden eine Aufstellung der Besitztümer, die er selbst im Laufe der Jahre konfisziert hatte.

Egal welche nicht-islamische Stiftung Sie in der Türkei besuchen, alle führen einen Prozess um ihre Grundstücke, Kirchen, Klöster oder Friedhöfe. Gehen Sie zu irgendeinem armenischen, griechischen oder aramäischen Anwalt, zweifelsohne befinden sich in deren Büros Hunderte Aktenordner voller vergilbter Unterlagen.

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