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Massaker von BilgeTäter wollten ganze Sippe auslöschen

Die acht Tatverdächtigen haben bei der Polizei ein Geständnis abgelegt. Motiv der Bluttat, bei der 44 Menschen starben, war demnach ein Racheakt aus verletzter Ehre.

Ginge es nach den Tätern, wäre niemand mehr zum Klagen übrig gewesen. Bild: ap

ISTANBUL taz | Offenbar haben die am Dienstagabend gefassten Tatverdächtigen des Massakers in Bilge in der Türkei bei der Polizei ausgesagt. Nach Angaben des Massenblatts Hürriyet, dem die Verhörprotokolle vorliegen sollen, wollten die Täter die gesamte Sippe auslöschen, um eine Blutfehde und neue Racheakte zu verhindern.

Ein Gericht erließ unterdessen Haftbefehl gegen acht Tatverdächtige. Darunter ist ein 14-jähriger Junge. Unter den 44 Opfern des Massakers in der südostanatolischen Provinz Mardin vom Montagabend waren 17 Frauen und sechs Kinder. Eine Frau war im neunten Monat schwanger und stand wenige Tage vor der Geburt ihres Kindes.

"Wir wollten das ganze Dorf auslöschen" - so wurde der Anführer gestern in dem übergroßen Aufmacher der Hürriyet zitiert. Der Grund sei eine Blutfehde zwischen den beiden Familien gewesen. Mitglieder der ermordeten Familie haben demnach ein Mädchen aus der Familie der Täter vergewaltigt. Daraufhin wollte man die Braut sozusagen zum Ausgleich haben. Stattdessen wurde das Mädchen aber mit einem Mann aus der verfeindeten Familie verlobt. Die Täter sagen, sie wollten auf der Hochzeitsfeier alle Angehörigen töten, damit keiner die Blutfehde weiterführen und sich an ihnen rächen könne.

Alle Opfer wurden nach islamischer Sitte am Dienstagabend bestattet. Ein Bild, wie mehrere Bagger die Gruben wie auf einer großen Baustelle ausheben, zeigten heute die Titelseiten der Istanbuler Zeitungen. "Eine Hochzeit - 44 Bestattungen" titelte der Sabah. "Die Türkei im Jahre 2009 nach unserer Zeitrechnung" titelte der liberale Aksam. Ein kleines Mädchen lächelte die Leser von der ersten Seite der linksliberalen Radikal an: "Ich habe sechs Geschwister und meine Eltern verloren - bin ich jetzt eine Vollwaise?" Die Waisenkinder kommen in Heime, die Hinterbliebenen werden von Psychologen betreut, bis sie in dem selben Dorf wieder ihrem Schicksal überlassen werden.

Die nationalen Zeitungen der Türkei erwähnten in ihren Berichten das Wort "Kurde" nicht. Es war durchweg von einer Blutfehde zwischen "südostanatolischen Clans" und "mittelalterlichen Sitten" die Rede; auch materielle Ursachen wie Streit um das Land, Armut und Überbevölkerung wurden als Motive angeführt. Streit gibt es dagegen um die Rolle der bewaffneten Dorfmilizen gestritten, die im Kampf gegen die verbotene Kurdische Arbeiterpartei (PKK) eingesetzt werden.

Politiker der Opposition wie der Regierungspartei AKP fordern, den Kampf gegen die PKK nur den Sicherheitskräften zu überlassen. Im Moment ist von konkreten Maßnahmen noch nicht die Rede. Beobachter halten die Abschaffung des Dorfschützensystems erst einmal für unrealistisch. Nicht nur die andauernden Kämpfe, sondern die hohe Arbeitslosigkeit in der Region förderten das Dorfschützensystem. Es gibt rund 70.000 Milizenangehörige, die derzeit hunderttausenden Menschen ein Auskommen sichern.

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10 Kommentare

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  • N
    n.n.

    @Dieter

     

    Ja, stell sich einer vor Dieter, es ist auch möglich Kurden zu kritisieren. Auch wenn das dein Weltbild zu erschüttern scheint und du dich zu absurden Bemerkungen getrieben fühlst: Anti-Kurdisch.

     

    Es ist im höchsten Maße PRO-Kurdisch sollte Mißstände anzusprechen, bekanntzumachen und anzuprangern. Ein Türke ist von diesen kurdischen Familien-Gesetzen nicht betroffen:

     

    TÖRE = traditionelle Gesetze kurdischer Familien, die regeln, wer wen heiraten darf, wer z.B. im Falle des Todes eines Bruders, sein Nachfolger wird und die Frau des verstorbenen Bruders heiraten MUSS (um das Familienvermögen in der Familie zu halten), wer wen nicht heiraten darf, ob und wann sich der Sohn von seiner Frau trennen MUSS, wenn sie z. B. keine Kinder bekommen kann, Gesetze, die regeln, wer wann in welcher Reihenfolge sterben muss, falls es Blutfehden in den Familien gibt.

     

    ASIRET = Familienclans, die Ländereien besitzen und sich das gesamte Dorf als Leibeigene halten. Die über Leben und Schicksal nicht nur ihrer eigenen Mitglieder bestimmen, sondern auch über das ihrer Arbeiter (bis ins intimste Detail), erst Recht aber über das ihrer sogenannten Clan-Feinde.

     

    Diese Dinge haben nunmal nichts mit dem Islam, und erst recht nichts mit der Türkei. Meine Güte, wie borniert muss man sein, um ständig Anti-Türkische Konstrukte aus allen die Kurden betreffenden Ereignissen herzustellen? Das ist eine viel berechtigtere Frage, als deine schwache Unterstellung!

  • D
    Dieter

    @n.n.

    "vorallem aber, frauenverachtenden Traditionen und Familiensitten der Kurden ... "

    Schon interessant, dass in der taz solche anti-kurdischen Statements gepostet werden dürfen.

  • TI
    Tayphon Ibn'i Tartarus

    die "Ehrenmorderklaerung" verklaert die Sache. der einzge Grund für dieses Massaker ist das "nicht-teilen-wollen" von Land und wirtschaftlich wertvollen anderen Werten (wie z.Bsp. eine Forellenfarm, usw.)der dortigen Sippen.

    dass die Ehre absichtlich in den Vordergrund geschoben wird ist nur schlechte und unzureichende Journalistik..

  • C
    chris

    Ich finde Menschen, die andere Menschen töten oder verletzen und dies scheinheilig noch mit Begriffen wie "Ehre" bemänteln, einfach nur widerlich. Bei allem Verständnis für die Autonomiebestrebungen der Kurden in der Türkei: Mit solchen Taten verspielt ihr sämtliche Sympathien in der Welt"!

  • C
    Chris

    Ich finde Menschen, die andere Menschen töten oder verletzen und dies scheinheilig noch mit Begriffen wie "Ehre" bemänteln, einfach nur widerlich. Bei allem Verständnis für die Autonomiebestrebungen der Kurden in der Türkei: Mit solchen Taten verspielt ihr sämtliche Sympathien in der Welt.

  • N
    n.n.

    @Hafize

     

    Arme arme Hafize, arme arme kurdische Frauen. Solange es solche gibt, wie dich, die mit keinem Wort die menschen-, vorallem aber, frauenverachtenden Traditionen und Familiensitten der Kurden, deren Verinnerlichung von Gewaltanwendung als legitimes Mittel, deren Familienurteile, meist von den Müttern gefällt (wie bei der Mafia übrigens), über das Leben und Schicksal jedes beliebigen Familienmitglieds thematisieren, sondern an dessen Stelle lieber das altbekannte "Schuld sind immer die Türken" Geleier von sich gegeben wird, solange wird sich in Südostanatolien NICHTS ändern, der Name der Region macht aus den Menschen keine zivilisierten Charaktere, sondern deren Arbeit an sich selber. Fakt ist doch: kurdische Frauen dürfen nur dann ihre in Grenzen gesteckte, vermeintliche "Freiheit" genießen, wenn es irgendwelchen politisch-separatistischen Zwecken dient, der Tradition des Aufstandes Rechnung trägt oder wenn sie sich von Gott & Familie losgesagt haben, wobei sie dann früher oder später dafür mit ihrem Leben bezahlen. Macht euch doch nichts vor. Eure vermeintlich "Freiheit" ist eine von euren Männern umgestülpte Käseglocke, in der ihr euch nach deren Komando bewegen dürft. Eine lächerliche Farce. Wenn ihr mal tatsächlich eure Freiheit leben möchtet, endet ihr tragisch und traurig wie Hatun Sürücü, das wisst ihr, und ihr tut nichts dagegen!!!

     

    Den Türken seid ihr bald sowas von egal, stimmt. Zurecht, wir haben die Schnauze voll für alles was ihr anstellt verantwortlich gemacht zu werden.

     

    Mannomann! 0 % (tatsächliche) Entwicklung!

  • C
    Can

    Selten so einen schwachen Artikel aus ihrer Feder gelesen liebe Dilek.

    Zusammengeschustert aus türkischen Presseartikeln und das nicht mal korrekt (es sollen drei Schwangere unter den getöteten Frauen sein).

     

    Dieser Satz wurde sogar von der deutschsprachigen Presse kopiert:

    Alle Opfer wurden nach islamischer Sitte am Dienstagabend bestattet.

    Richtiger sollte es es heißen: Alle Opfer wurden am Dienstagabend nach islamischer Sitte bestattet. Damit ist eigentlich gemeint, dass nach islamischer Sitte die Bestattung alsbald zu geschehen hat. Eine Dilek weiss es sicherlich. Vielleicht musste sie schnell einen Artikel liefern.

     

    Die nationalen Zeitungen der Türkei erwähnten in ihren Berichten das Wort "Kurde" nicht. Ja, aber warum nicht? Warum steht dieser Satz ohne Erklärungsversuch?

    Den letzten Absatz konnte man vor ihr fast im gleichen Wortlaut bereits zwei Tage vorher überall lesen.

     

    Frau Zaptcioglu setzen, sechs wegen Abschreiben vom Nachbarn. Was ist aber mit der Ressorts- bzw. Redaktionsleitung?

     

    Liebe TAZ, ist das euer neues Niveau?

  • H
    Hafize

    Natürlich erwähnen sie das Wort Kurde nicht, denn jeder Türke weiss, wo das Böse und die Bösen wohnen, im Südosten in Süd-Anatolien oder wie auch immer türkische Medien Kurdistan beschreiben. Dass es dort mittelalterlich zugehen soll, passt umso besser ins Konzept. Ich kann nur sagen, dass Türken sich genauso abmessern und aufeinanderschießen und aus Ehre alle möglichen Dinge tun, aber sie werden von der Regierung nicht mit Schnellfeuergewehren ausgerüstet und dazu animiert, diese fortwährend gegen die eigenen Familien, das eigene Volk und gegen Nachbardörfer einzusetzen. Aber genau das ist doch hier passiert.

    Wenn ich kleine Dörfer in Niedersachsen mit Waffen überschütten würde, wäre es nicht lange hin, bis jemand damit auch auf die eigenen Leute schiessen würde. Vor ein paar MOnaten hatten wir in Deutschland doch diesen traurigen Vorfall. Im Südosten / Kurdistan liegen mehr Waffen herum, sind mehr Soldaten, Gendamerie und Geheimdienst unterwegs als irgendwo sonst in der Türkei.

    Während des Aufstands war Gewalt so normal, dass viele Dinge von Damals auch heute nicht bekannt geworden sind. Das ist es natürlich besonders schön, wenn diese wilden Anatolier, Kurden, Araber oder wer auch immer das Feuer aufeinander eröffnen.

    Das paßt ins Bild und wird vielen Türken bestätigen, was sie an Vorurteilen und negativen Bildern über Kurden bereits in ihrem Gehirn tief verschweisst haben.

    Nur besser wird daraus gar nichts. Anstatt die Entwaffnung einzuleiten, bauscht die Türkei die PKK auf und führt gegen ein paar Hundert Peschmerga einen groß angelegten Krieg - freilich immer drauf und drann ins Irakisch-Kurdistan vorzudringen, wo angeblich die PKK blüht und gedeiht. Die irakischen Kurden können gar nicht oft genug ihre Freundschaft zu Ankara, zu Türken, NATO und USA wiederholen, wie sie die Sicherheitskreise in Ankara einfordern. Es wäre doch geradezu eine zivilisatorische Aufgabe das kurdische Erdöll zu kassieren und diesen Wilden mal was beizubringen, am Besten man bewaffnet ein paar von ihnen ...

  • RW
    R. Wegener

    Die Täter haben sich innerhalb der Logik der Ehre völlig rational verhalten. Eine ungerächte Vergewaltigung würde zum Ansehensverlust der Sippe führen, das wiederum längerfristig zu neuen Übergriffen, sexueller oder ökonomischer Art. Die Sitte, vergewaltigte Mädchen zu ermorden, kann verstanden werden, die Tilgung der Schande nicht zu einer Blutsfehde werden zu lassen. Offensichtlich wurde das hier nicht getan. Deshalb musste, um der langfristigen Vernichtung des eigenen Clans zu entgehen, ein Exempel statuiert werden. Nur wenn niemand mehr übrig bleibt, der den Vorgang rächen kann, ist eine Blutsfehde ausgeschlossen. In diesem Sinne ist die Tat nachvollziehbar und innerhalb dieser Logik legitimiert. Das wiederum zeigt, wie menschenverachtend das Ehrsystem unter den Kurden ist. Und es zeigt auch, was den Asylparagraph langfristig zu größten Gefahr für unsere Gesellschaft macht: Den Import von kulturellen Strukturen, denen der bürgerliche Staat mit seinen Mitteln nicht gewachsen ist. Das, was blinde Multi-Kulti-Enthusiasten als Bereicherung gefeiert haben, ist in Wirklichkeit die größte Bedrohung unseres Landes: Clanstrukturen, die das Gewaltmonopol des Staates aushebeln, Ehrbegriffe, die die Beziehungen von immer mehr Menschen bedrohen, Männer- und Frauenbilder, die zuletzt bei den Germanen anzutreffen waren, islamistische Gruppen, die ihr Gastland mit Verachtung strafen und es von innen heraus vergiften. Man kann aber auch sagen: Eine Gesellschaft, die Menschen bereitwillig aufnimmt, die die Grundlagen dieser Gesellschaft offen ablehnen, und sie selbst dann noch duldet, wenn sie gegen diese Grundlagen aktiv arbeiten, hat es nicht besser verdient. Das Ende von Weimar hatte politische, das Ende der Bundesrepublik, wie wir sie kennen, wird sozio-kulturelle haben.

  • O
    onkelklaus

    Da fragt man sich als Mensch schon, wie das mit dem EU-Beitritt der Türkei war. Ich bin auf keinen Fall dagegen, im Gegenteil, eine Öffnung der EU hin zum Islam (zumindest geographisch) ist begrüßenswert.

    Aber man sollte trotzdem mal über solche Vorfälle reflektieren.