Massaker von Babi Jar: Ukraine gedenkt Mord an Juden
Vor 75 Jahren wurde die jüdische Bevölkerung von Kiew ausgelöscht. Die Sowjetunion tat sich schwer mit der Erinnerung. Für die Ukraine ist sie Ehrensache.
![Ein Mann und eine Frau stehen weinend vor dem Menora-Monument, das an das Massaker von Babi Jar erinnert Ein Mann und eine Frau stehen weinend vor dem Menora-Monument, das an das Massaker von Babi Jar erinnert](https://taz.de/picture/1487068/14/1490630.jpeg)
„Sämtliche Juden der Stadt Kiew und Umgebung haben sich am Montag, dem 29. September 1941, bis acht Uhr einzufinden“, verkündeten Aushänge. Mitzunehmen seien Dokumente, Geld und Kleidung. Wer der Anweisung nicht folge, dem wurde mit Erschießung gedroht. Von einst 220.000 jüdischen Einwohnern waren nur 50.000 geblieben, die Männer dienten in der Roten Armee, andere waren geflohen.
Greise, Frauen und Kinder fanden sich am Sammelplatz bei der heutigen Metrostation Lukjaniwka ein. Getrieben von lokalen Wachmannschaften, legten sie die zweieinhalb Kilometer zum damaligen Stadtrand zu Fuß zurück.
In Babi Jar wurden die Menschen gezwungen, sich auszuziehen. In Zehnergruppen wurden sie in die Schlucht geführt. Dort befanden sich drei Gruppen mit MPi-Schützen, wie Kurt Werner, Angehöriger des SS-Sonderkommandos 4A, nach dem Krieg in den Nürnberger Prozessen aussagte. „Die nachfolgenden Juden mussten sich auf die Leichen der zuvor erschossenen Juden legen. Die Schützen standen jeweils hinter den Juden und haben diese mit Genickschüssen getötet“, berichtete der SS-Mann.
Spuren verwischt
Bis Mitte Oktober wurden mehr als 50.000 Menschen getötet. Pioniere der Wehrmacht sprengten anschließend die Ränder der bis zu 50 Meter tiefen Schlucht, um Spuren des Massengrabes zu verwischen.
Bis zu 200.000 Menschen wurden in der Besatzungszeit in Babi Jar ermordet. Erschossen wurden außer Juden auch Roma, Kriegsgefangene, psychisch Kranke, Partisanen und ukrainische Nationalisten. Nach der Niederlage von Stalingrad zeichnete sich jedoch eine Rückkehr der Roten Armee ab.
Der bereits an den Erschießungen 1941 beteiligte SS-Standartenführer Paul Blobel kam nach Kiew zurück und begann mit der sogenannten „Ent-Erdungsaktion“. 300 KZ-Häftlinge gruben die Leichen wieder aus und verbrannten sie auf mit Benzin getränkten Eisenbahnschwellen. Das Grauen endete erst am 6. November 1943, als die Rote Armee unter gewaltigen Verlusten die Stadt befreite.
Die sowjetische Regierung tat sich jahrzehntelang schwer mit dem Gedenken an die ermordeten Kiewer Juden. Die Schlucht wurde mit den Jahren Teil der Stadt, sie wurde in einen Park umgewandelt. Erst nach Stalins Tod löste unter anderem das 1961 erschienene weltbekannte Gedicht „Babi Jar“ von Jewgeni Jewtuschenkos eine Debatte aus. Doch das 1976 errichtete Monument für die ermordeten „sowjetischen Bürger“ verweigerte das Gedenken an die Juden als Hauptopfergruppe.
Erinnerung erwachte erst 50 Jahre später
Das änderte sich erst zum 50. Jahrestag 1991, fast zeitgleich mit dem Ende der Sowjetunion. Ein Mahnmal in Form einer Menora, eines siebenarmigen jüdischen Leuchters, wurde errichtet. Doch auch anderer Opfergruppen wie der Roma wurde mit eigenen Denkmälern gedacht. Zugleich begann eine Diskussion über die Errichtung einer Holocaust-Gedenkstätte – ein Novum für die Ex-Sowjetrepublik Ukraine.
Inzwischen hat das Land mit Wladimir Groisman einen Regierungschef jüdischer Herkunft. Schon als Parlamentschef ließ er in der Obersten Rada erstmals eine Gedenkminute für die Holocaustopfer einlegen.
Auf den 75. Jahrestag hat sich Kiew lange vorbereitet. Für umgerechnet mehr als eine Million Euro wurden Grünlagen und Wege neu gestaltet, die Gedenkstätten saniert. „Wir müssen uns daran erinnern, was hier geschah, damit die Fehler der Vergangenheit sich nicht noch einmal wiederholen“, sagte der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko.
Und auch die zeitweilig eingeschlafenen Gespräche über ein Memorial für die Shoa stieß er wieder an. „Ich halte es für meine Mission als Bürgermeister der Hauptstadt, das Projekt der Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer von Babi Jar zu realisieren“, versprach der Ex-Boxweltmeister im Dezember 2015 den Nachkommen der Opfer.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden