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Massaker in SyrienErst die Panzer, dann die Mordmilizen

Regierungstreue Milizen ermorden in Syrien 78 Dorfbewohner. Die Armee hindert UN-Beobachter daran, das Dorf zu besuchen. Sie sollen beschossen worden sein.

Trotz 78 Toter wird die syrische Flagge hier nicht auf Halbmast gesetzt, sondern gehisst. Bild: dpa

BERLIN taz | „Sie kamen mit Panzern, beschossen erst das kleine Dorf, dann kamen die Shabiha-Milizen und brannten die Häuser ab.“ So schildert gegenüber der taz ein syrischer Exilant in Paris, was seine alte Mutter ihm über die Vorgänge am Mittwoch im Dorf Masraat al-Kubeir berichtet.

Sie lebt außerhalb, und als der Granatenbeschuss des Dorfes begann, floh sie mit ihrem kranken Mann per Taxi ins Krankenhaus der nahen Stadt Hama. Sie ist also eine der wenigen Überlebenden des jüngsten großen Massakers in Syrien, das jetzt die Weltöffentlichkeit entsetzt.

Die Kämpfer der regierungstreuen Shabiha-Miliz hatten gemordet, geplündert und gebrandschatzt, berichtet die alte Frau. Sie seien aus den alawitisch dominierten Nachbardörfern Asila und Najal gekommen und hätten kein Erbarmen gehabt. Wie viele Menschen bei dem Angriff starben, der den ganzen Mittwochnachmittag dauerte, weiß sie nicht, aber die Syrische Beobachterstelle für Menschenrechte in London zählt 78 Tote, darunter viele Kinder.

UN-Beobachter zurückgeschickt

Genaueres wollte die UN-Beobachtermission wissen und reiste am Donnerstag nach Masraat al-Kubeir. Aber, so der Leiter der UN-Mission, General Robert Mood: „Die Beobachter werden an Straßensperren der syrischen Armee gestoppt und zum Teil auch zurückgeschickt. Einige unserer Patrouillen werden von Zivilisten in dem Gebiet aufgehalten. Wir erhalten Informationen von Bewohnern in dem Bezirk, dass die Sicherheit unserer Beobachter nicht gewährleistet ist, wenn wir das Dorf al-Kubeir betreten“. Nach weiteren UN-Angaben wurden die Beobachter sogar beschossen.

35 Opfer des Massakers sollen aus einer einzigen Familie stammen. In der kleinen Ortschaft lebten ohnehin nur rund 200 Menschen in rund zehn Häusern. Auch beim Massaker von Hula in der vorletzen Woche stammte ein Großteil der Opfer aus nur zwei Familien, wobei fast alle der in Hula ermordeten Kinder und Frauen aus der Sayed-Familie stammen, deren Mitglied Mashlab bei den Wahlen einen Platz im Parlament errungen hat.

Jedes neue Massaker radikalisiert die Opposition weiter. Aber: „Ich kann noch nicht sagen, wie es weitergeht“ sagt der Führer der Freien Syrischen Armee (FSA), Riad Asaad, telefonisch gegenüber der taz vom Istanbuler Flughafen. Ob alle Fraktionen an einem Strang ziehen, ist fraglich. Kendal Efrim, ein Mitglied der syrisch-kurdischen Opposition, forderte im Interview mit der türkischen Zeitung Hürriyet jetzt den Zusammenschluss der Kurden zur „Peshmerga-Armee“, also zu einer eigenen, koordinierten bewaffneten Gruppe. „Ansonsten werden wir entweder von der syrischen Staatsarmee oder der Freien Syrischen Armee ausradiert“ sagte er.

Checkpoints gegen Regierungstruppen

Im Nordosten Syriens, in dem hauptsächlich Kurden leben, soll es bereits einzelne „vom Regime befreite Zonen“ geben. Augenzeugen zufolge soll die strategisch wichtige kurdische Stadt Qamishli sogar schon durch eigene, offiziell wirkende Grenzposten und Checkpoints vor einem Einmarsch der Regierungstruppen gerüstet sein. In Qamishli kam es bereits 2004 zu einem bewaffneten Aufstand der Kurden, bei dessen Niederschlagung 30 Rebellen umkamen.

In den vergangenen Wochen ist es nach Angaben der PYD (Partiya Yakitiya Demokrat, die syrische Division der hauptsächlich in der Türkei aktiven Kurdenguerilla PKK) häufig zu Schusswechseln zwischen der syrischen Armee und kurdischen Kämpfern gekommen. Aus der zweitgrößten syrischen Stadt Aleppo meldeten PYD-Aktivisten, dass Soldaten und Polizisten in den kurdischen Vierteln entmachtet seien.

Der taz liegen Informationen vor, wonach syrische Kurden sich bereits seit längerem im Nordirak an Waffen ausbilden lassen, um sich sowohl gegenüber dem Assad-Regime als auch gegenüber einem eventuellen Nachfolger aus dem Rebellenlager behaupten zu können.

Unterdessen brodelt es auch in Syriens Nachbarstaat Libanon. Zehntausende Syrer, die im Libanon als Tagelöhner während der aktuellen Erntesaison arbeiten, machen sich derzeit auf den Rückweg von ihrer Gastarbeit in den Bürgerkrieg. Lange Schlangen bilden sich am Grenzübergang Masnaa in Richtung Syrien. Grund für den Massenexodus: Ein Syrer wurde angeblich von Libanesen zu Tode geprügelt. Sein Bild kursiert jetzt auf Mobiltelefonen.

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16 Kommentare

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  • HS
    Hari Seldon

    @@hari seldon:

     

    Dann bitteschön, studieren Sie die Klageschriften aus Nürnberg. Sie werden sehr überrascht sein, wieviele Ähnlichkeiten Sie mit den NATO-Aktivitäten in den letzten 20-25 Jahren feststellen können. Übrigens: NATO: North Atlantic Treaty Organization. Bitte, was meinen Sie, wären Irak, Afganistan, Libyen, Syrien, usw. Länder nördlich von den NATO-Ländern, und hätten diese Länder irgendwann die NATO Länder bedroht oder angegriffen? Wie beurteilen Sie die Völkermorde in diesen Ländern? Würden Sie diese Völkermorde als "Demokratie", "Menschenrechte",usw. oder als Faschismus einstufen? Nun, Adolf wollte eigentlich auch Weltherrschaft, wie einige bekannten NATO-Herrschaften. Zum Beispiel, was meinen Sie, was sollte die NATO in Afrika oder in Asien suchen? Adolf wollte genauso die Ölquellen und strategische Rohstoffen kombiniert mit "Lebensraum" sichern, wie die NATO, usw. Die Methoden und die Vorgehensweise (Angriffskriege) sind praktisch gleich.

  • HH
    @ hari seldon

    sie haben hier doch schon mehrfach die souveränität syriens verteidigt. wenn sie hier schon mit adolf ankommen wäre es ihrer meinung nach dann woh voll ok gewesen wenn sich die nazis mit dem holocaust auf deutschland beschränkt hätten. wie krank ist das den?

     

    ps.: nein ich will die ereignisse in syrien in keinster weise mit denen in deutschland 33-45 vergleichen! herr seldon ihre gleichsetztung nazideutschlands mit der nato ist übrigend unter aller sau

  • AF
    Andre Find

    Schon schade, dass die taz hier so stark auf die militärische Komponente in Syrien setzt und übersieht, dass es ungezählte zivile Momente des Protests gegen Assad gibt. Natürlich muss ein Massaker in der Größenordnung berichtet werden, aber leider stärken solche Berichte, wenn sie die unbewaffneten Proteste (Demonstrationen, Streiks, ziviler Ungehorsam) außer Acht lassen, der militärischen Handlungsoption in die Hände. Dass angesichts der Massaker tatenloses Zusehen keine Alternative ist, versteht sich von selbst. Aber der Diskurs darf auch nicht dazu führen, dass die Bewaffnung der Freien Syrischen Armee als die harmlose Version der militärischen Komponente erscheint.

    Doch es gibt eine weitere Möglichkeit zwischen tatenlosem Zusehen und militärischer Eskalation: Wir müssen den zivilen Widerstand gegen das Assad-Regime stärken. Wie das praktisch funktioniert? -> https://www.adoptrevolution.org

  • T
    theVoice

    Es wäre zu gegrüsssen wenn die TAZ sich dieser Propagandatrommelei entzieht und wenigstens ein paar glaubwürdige Berichterstatter *vor Ort* befragt.

     

    Anstelle sich in Paris und London per Telefon zu informieren. Bei organisierten Exilsyrern.

  • W
    wessinger

    (Anmerkung der Redaktion: der Beitrag wurde gekürzt)

     

    Die Mutter eines syrischen Freiheitskämfers im AUsland hat angerufen!....

    Super verlässliche Quellen und gleich gross hinaustrompeten!

    Fasst zwei Millionen Christen in Syrien zittern vor Angst, weil sie befürchten dass die islamistischen Banden den Kampf gewinnen, denn das würde für sie der Horror bedeuten: Schikane, Terror, Tod, Vetreibung. Schon jetzt sind tausende geflohen.

    Assad mag ein knochenharer Diktator sein ,aber er hat für Religionsfrieden gesorgt.

    Ihr kämpft mit Eurer Propaganda dafür, dass es den Christen bald an den Kragen geht. Vielen Dank Taz! daoag

  • HS
    Hari Seldon

    @wolf:

     

    Ein gewisser Adolf (kennen Sie vielleicht ihn?) wollte damals auch alles "wegbomben" w3as nicht ins Kram passte. Das Abenteuer kostete zigmillionen von Menschenleben, und endete in Nürnberg, im Gerichtssaal. Augenscheinlich ist wieder ein Nürnberg 2 für die "Wegbomber" fällig wäre.

  • S
    suri

    immerwieder wenn etwas den Falken bei der TAZ als Sprechchor der Intelektuellen des Für_dt. Imperialismus nicht passt, nimmt meine Kommentare einfach weg.

    Aber um meine Behauptungen stünden westliche Geheimdienste hinter den Blutbaden in Syrien zu untermauern, lesen Sie bitte den Artikel unten

     

    http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=882

  • W
    Wolf

    Bei Anne Will fiel das Wort "wegbomben".

     

    Wie lange will die westliche Welt noch zuschauen, wie ein Mörder des eigenen Volkes noch frei rumläuft ?

     

    Alle Konten weltweit einfrieren,

    Haftbefehl durch den Internationalen Gerichtshof und

    ggfls. militärisches Eingreifen sind längst überfällig.

     

    Bei anderen Diktatoren hat es funktioniert !

  • HS
    Hari Seldon

    Zitat aus dem Artikel: "Sie lebt außerhalb, und als der Granatenbeschuss des Dorfes begann, floh sie mit ihrem kranken Mann per Taxi ins Krankenhaus der nahen Stadt Hama." Wie konnte diealte Frau mit Taxi flüchten: Die Ortschaft war "hermetisch durch die Armee abgeriegelt" (Quelle: Menschenrechtsaktivisten im Ausland....). Dazu kommt, dass die Ortschaft ca.aus 25 Häuser besteht, so die Taxis stehen in der Schlange, und warten auf Fahrgäste.

     

    Auf gut Deutsch: "Die alte Frau" war überhaupt nicht vor Ort, aber weiss alles, usw. Volksverdummung und Krigshetzerei hoch fünf. Gestern war die Opferzahl noch fast 100, heute ist bei Reuters 58, davon haben die Rebellen 30 Männerleichen (eigene Verluste) abtransportiert. Ist es bekannt, wer die UN-Beobachtern beschossen hat? Waren die Angreifer zufälligerweise nicht die "Freiheitskämpfer"?

     

    Die TAZ sollte sich nicht weiter blamieren.

  • I
    ich

    Gibt es keine seriöseren Quellen als die "alte Mutter" irgendeines "syrischen Exilanten" ?

    In diesem Bericht werden ungeheuerliche Vorwürfe gegen die syrische Regierung erhoben, deren Stellungnahme zu diesem Verbrechen wird hier überhaupt nicht erwähnt.

    Diese Berichterstattung ist recht einseitig, bestimmt ganz im Sinne des "Führers" der "Freien syrischen Armee", mit dem die taz telefoniert hat.

  • T
    tageslicht

    Die Berichte stützen sich auf die Informationen einer alten Frau, die einen Exilanten angerufen hat, der das der Presse erzählt hat. Es wird kommentarlos abgedruckt und hingenommen. Das kotzt mich an.

  • EW
    Eli Weitzmann

    Erst letzte Woche hat es sich beim Houla-Massaker herausgestellt, dass es möglicherweise nicht vom bösen Assad seiner Armee oder seinen verbündeten Milizen, sondern von unseren pro-westlichen "Freiheitskämpfern" verübt wurde. Und plötzlich, von einem Tag auf den anderen, ist die Kriegshetze und die große Empörung und das Entsetzen in unseren Medien verstummt - für ein paar Tage.

     

    Und, Überraschung! Schon heute wird das nächste Massaker aus dem Hut gezaubert (für die Opfer sicher ein weniger vergnüglicher Vorgang). Warum bin ich jetzt nicht überrascht?

     

    Und warum bin ich nicht überrascht, dass unsere westlichen Medien diesen Köder und alles, was ihnen vom "syrischen Nationalrat" erzählt wird, schlucken, und ein weiteres Mal kräftig und unkritisch mitheizen bei der imperialen Kriegspropaganda des Westens?

     

    Hier mal ein Artikel, den ich vor vielen Jahren noch in einer Zeitung wie der taz erwartet hätte (ehe Özdemirs und Trittins Grüne zu Bilderbergern wurden):

     

    http://www.jungewelt.de/2012/06-08/026.php

     

    Bringt kurz und exakt auf den Punkt, was Leute wie ich von der ganzen Syrien-Krise halten. Wer anderer Meinung ist, kann sich dort ja wenigstens schnell über unsere Irrtümer informieren und hinterher besser gegen uns argumentieren.

     

    Übrigens gibt es sogar bei den kommunistischen Pazifisten im Politikteil der Frankfurter Allgemeinen noch Redakteure, die sich nicht veräppeln lassen und wissen, wie der Hase läuft. Mal diesen Artikel lesen und dabei auf das achten, was der Verfasser vorsichtig zwischen die Zeilen geschrieben hat:

     

    http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/syrien-zu-beobachten-ein-toedliches-schauspiel-11773183.html

  • JN
    Joachim Nettelbeck

    Neuer Versuch

     

    Ich finde es sehr befremdlich, das die TAZ sich mit zu den Kriegstrommlern zählt. Die Frage muß doch lauten, cui bono? Wem nützt es?

    Assad wird doch wohl kaum so dämlich sein, während UN-Beobachter im Land sind, so etwas zuzulassen. Genau damit liefert er doch seinen Gegnern die Munition die sie gegen ihn brauchen.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Da läuft bereits ein Bürgerkrieg, bei dem der Westen schon lange die Rebellen unterstützt, um Syrien sturmreif zu schießen.Die TAZ hat sich beim Verbreiten von unbewiesenen Behauptungen stets als Rebellenhilfe erwiesen. Der Krieg führt ins Verderben und die TAZ macht mit.Deshalb erbitte ich eindeutige Beweise.

  • JO
    Jürgen Orlok

    Da geb ich mir schon Mühe den überforderten tazlern zu helfen und schick ihnen die so schwierig zu findenden Links zu den statements der Regierungsseite ...

    aber wieder und wieder blebt es dabei:

    Was die syrischen Terroristen sagen muß wahr sein ...

    zur breiteren Sicht der Dinge

    zu den Vorkommnissen in Mazraat al-Qubeir

     

    Syria's Permanent Representative to the UN: Al-Qubeir Massacre was Committed 5 Hours before any Clashes Happened

    http://www.sana.sy/eng/22/2012/06/07/424146.htm

     

     

    Mazraat al-Qubeir People Tell of Horror and Armed Terrorist Groups' Crimes against them

    http://www.sana.sy/eng/21/2012/06/07/424129.htm

  • P
    pauli

    "Grund für den Massenexodus: Ein Syrer wurde angeblich von Libanesen zu Tode geprügelt. Sein Bild kursiert jetzt auf Mobiltelefonen."

    welch stumpfsinniger euphemismus! grund für den "massenexodus" ist antisyrischer rassismus in libanon, der durch die gruppe um hariri angestachelt wird. jeden tag werden syrer in libanon angegriffen!