Marzahn Pride am 17. Juli: „Das bunte Miteinander“
Der Marzahn Pride zieht zum zweiten Mal durch den Stadtbezirk, in dem der größte Teil der russischsprachigen Bevölkerung Berlins lebt.
taz: Frau Chayka, den Marzahn Pride veranstaltet Quarteera, ein Verein, der gegründet wurde, um Homophobie in der russischsprachigen Community in Deutschland zu bekämpfen.
Evelina Chayka: Angefangen hat Quarteera mit der Organisation einer russischsprachigen Gruppe beim Berliner CSD 2010. Damals waren wir nur eine kleine Gruppe von Enthusiasten. Wir wollten russischsprachigen Queers in Deutschland eine Stimme geben und auf die sich immer weiter verschlechternde Lage der LSBTIQ*-Community in Russland angesichts des sogenannten „Propaganda-Gesetzes“ aufmerksam machen. Und wir wollten den russischsprachigen queeren Menschen in Deutschland ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln.
Wie macht das der Verein konkret?
Derzeit setzt Quarteera jedes Jahr ein durch das Auswärtige Amt gefördertes Projekt zur Stärkung der LSBTIQ*-Community in den Ländern der östlichen Partnerschaft und Russland um. Quarteera organisiert zahlreiche Aufklärungsveranstaltungen in Kooperation mit befreundeten russischsprachigen Vereinen, führt seit 2019 ein Modellprojekt der politischen Bildung in Kooperation mit der Akademie Waldschlösschen zur Sensibilisierung zur LSBTIQ* von Russischsprachigen durch – und vernetzt über 120 Mitglieder bundesweit.
arbeitet kollektiv, im Team sind unsere Gesprächspartnerin Evelina Chayka (35), Unternehmerin, Svetlana Shaytanova (29), Projektmanagerin, Svetlana Panteleeva (37), Marktanalytikerin und Yulia Dannöhl (34), Quality-and-Compliance-Managerin.
Warum braucht es diesen Pride in Marzahn?
Letztes Jahr sind wir auf die Idee gekommen, den ersten Marzahn Pride ins Leben zu rufen, da Marzahn für uns schon immer eine Metapher für den „Post-Ost-Raum“ darstellte. In Marzahn wohnt der größte Teil der russischsprachigen Bevölkerung Berlins. Darin haben wir die Möglichkeit gesehen, genau diese Menschen zu erreichen. Seit dem letzten Jahr hat sich unsere Beziehung mit Marzahn sehr positiv entwickelt – nun befindet sich hier unser Büro. Also sind wir in Marzahn nicht mehr zu Gast, sondern zu Hause. Da es erst seit Kurzem geschehen ist, betrachten wir den diesjährigen Marzahn Pride als eine kleine Einweihungsfete.
Was hat sich nach dem ersten Pride, an dem rund 500 Menschen dabei waren, verändert?
Anlässlich des ersten Pride haben wir eine Reihe von Aufklärungsveranstaltungen durchgeführt, zum Beispiel das Projekt „Lebendige Bibliothek“. Der Sinn besteht darin, dass ein Mensch das Buch des eigenen Lebens darstellt und über etwas Autobiografisches berichtet. Die Marzahner*innen konnten alle möglichen offenen Fragen an die LGBTIQ*-Sprecher*innen stellen, die ihnen am Herzen lagen.
Und wie war die Resonanz?
Die Reaktionen waren durchweg positiv. Außerdem haben wir angefangen, sowohl mit diversen LGBTIQ*-Organisationen aus Marzahn als auch mit Nicht-LGBTIQ*-Organisationen zu kooperieren. Und wie schon erwähnt, war der größte Erfolg seit der Durchführung des ersten Marzahn Prides, dass wir die Unterstützung des Bezirks für die Eröffnung des eigenen Büros bekommen haben. Zudem nimmt Quarteera an der Entwicklung eines Bezirksplanes zum Abbau von Homo-, Bi- und Trans*Feindlichkeit sowie an der Aktion zum diesjährigen IDAHOBIT-Tag (International Day Against Homophobia, Biphobia, Interphobia and Transphobia, Anm. d. Red.) teil.
Habt ihr ein Motto?
Unsere Botschaft lautet „Marzahn – das bunte Miteinander“ (oder auf Russisch: „Марцан – мы все одинаково любим“). Damit wollen wir vermitteln, dass wir – alle Bezirksbewohner*innen und Berliner*innen, ob Migrant*innen, LSBTIQ* oder nicht – viel Gemeinsames haben. Wir lachen gleich, wir weinen gleich. Letztendlich sind unsere Sexualität oder Identität nur einer der Aspekte, die in unserem Leben eine große Rolle spielen, aber es ist keiner, der alles andere überschattet.
Was habt ihr vor beim Pride?
Dazu haben wir eine Social-Media-Kampagne ins Leben gerufen, wo die Menschen mit der Welt teilen können, was sie mögen und lieben und was ihnen am Herzen liegt. Die besten Mitteilungen werden auf Plakate gedruckt und beim Umzug mitgetragen. So können Menschen aus der ganzen Welt an der Parade teilnehmen, auch wenn sie physisch nicht dabei sein können. Beim Pride wird es natürlich einen Umzug geben, Grußworte von unseren Unterstützer*innen und Kooperationspartner*innen und eine kleine Fête mit Musik und Performances.
Was würdet ihr euch vom Bezirk wünschen?
Wir sind dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf und der Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle für die ganze Unterstützung sehr dankbar. Wir wünschen uns natürlich, dass sich uns Menschen anschließen und mit uns auf der Straße gute Laune verbreiten.
Und vom Senat?
Wir wünschen uns, dass wir in Kontakt mit dem Senat treten können, um wichtige Kontakte für unsere Organisation aufbauen zu können. Finanzielle Unterstützung für diverse Projekte wäre natürlich nicht schlecht – so könnten wir noch mehr soziale Projekte starten und fördern. Aber auch Kontakte mit Menschen, die uns nach außen unterstützen oder die uns bei diversen Fragestellungen helfen könnten, sind Gold wert.
Hat der Verein genug finanzielle Mittel für all die Arbeit?
Zum Glück haben wir viele Freiwillige, die mit viel Engagement und Herzblut anpacken, deshalb sind wir bis jetzt ohne große finanzielle Mittel gut über die Runden gekommen. Allerdings wäre finanzielle Unterstützung unabdingbar, wenn der Verein sich weiter entwickeln will. So könnten wir Leute gegen Bezahlung einstellen, damit sie unsere sozialen Projekte in Vollzeit managen können. Auf diese Weise könnten wir viel mehr Menschen erreichen und die Leute unterstützen, die unsere Hilfe wirklich brauchen.
Migration ist ein wichtiges Thema, Quarteera klärt auf und berät. Wie stehen die Chancen, als Lesbe oder Trans* aus Russland hier Asyl zu erhalten?
Homo- oder Trans*-Sein alleine ist in Deutschland kein Grund dafür, Asyl zu erhalten. Man ist immer in der Nachweispflicht, dass man im Ursprungsland verfolgt wird – hat man es nachgewiesen, besteht die Chance, subsidiären Schutz zu erhalten. Leider ist es so, dass Menschen, die in Russland oder postsowjetischen Ländern in besonders kritischen Situationen stecken und am meisten Hilfe brauchen, die schlechtesten Chancen haben, jegliche Hilfe oder Asyl zu erhalten. Viele trauen sich nicht über die schwerwiegenden Erfahrungen zu sprechen oder wissen nicht, welche Möglichkeiten die deutsche Gesetzgebung zulässt. Außerdem ist es nicht trivial, Verfolgung nachzuweisen, wenn Feindlichkeiten aufgrund der sexuellen Orientierung nicht offiziell dokumentiert werden können, wenn lokale Polizeistellen jegliche Unterstützung verwehren, oder, schlimmer noch – LGBTQ-Menschen zusätzlich diskriminieren.
2. Marzahn Pride, Samstag, 17. Juli, Start um 12 Uhr, Helene-Weigel-Platz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste