Martin Reeh über die Olympia-Träume des Berliner Regierenden: Psychologisch interessant
Haben Sie Sinn für Zynismus? Eine klammheimliche Freude daran, wie Großorganisationen Erneuerung versprechen – und dann alles so weitergeht wie zuvor? Mit Doping, Korruption oder mittelmäßigem Personal? Lesen Sie deshalb mit Begeisterung Berichte aus dem Inneren von Fifa, IOC und SPD? Und finden Sie es besonders komisch, wenn sich solche Organisationen in ihrer „Weiter so“-Politik gegenseitig stützen?
Dann dürfte Ihnen Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) gerade einen guten Start in den Tag beschert haben. Seine Landes-SPD liegt in den Umfragen zum Abgeordnetenhaus bei 20 Prozent, mal knapp vor, mal knapp hinter der Linkspartei. Die Gründe: Behördenversagen am Flughafen und steigende Mieten in einer Stadt, die mit dem Wohnungsbau nicht hinterherkommt.
Dennoch hat Müller gerade seine Unterstützung für eine erneute Berliner Olympia-Bewerbung signalisiert. Olympische Spiele waren in anderen Städten der sichere Garant für weiter steigende Mieten und explodierende Kosten für die öffentliche Hand. Schon zweimal, 1993 und 2015, ist Berlin (und die SPD) mit einer Bewerbung letztlich am Unwillen in der eigenen Bevölkerung gescheitert. Eine Volksabstimmung über eine neue Bewerbung dürfte Müller verlieren.
Nun ist seine Olympia-Unterstützung vorerst nicht mehr als Rhetorik: Das IOC hat, um sich peinliche Bewerbungsrunden zu ersparen, die Spiele 2024 und 2028 an Paris und Los Angeles vergeben – die einzigen Städte, die noch für 2024 kandidierten. Die nächste Bewerbungsrunde steht erst Mitte der 20er Jahre an, wenn Müller längst nicht mehr im Amt sein dürfte.
Deshalb ist Müllers Bekenntnis vor allem psychologisch interessant: Warum hält der Regierende so hartnäckig an Olympia fest? Erstens, weil die SPD keine andere Idee von Stadtentwicklung hat, als die globale Attraktivität Berlins zu steigern. Die sozialen Folgewirkungen werden anschließend gekittet – falls es die Finanzlage zulässt. Und zweitens, weil Müller wohl glaubt, dass Fifa, IOC und SPD auf ewig so weiterexistieren, wie es immer war. Aber was für Fifa und IOC zutreffen mag – irgendein Despot findet sich immer, der die Spiele zahlt –, könnte sich bezüglich der SPD als Irrtum herausstellen.
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