Martin Peters über Machtmissbrauch: „Kinderschutz ist wichtiger“
Wer sich in einer Kita bewirbt, soll seinem neuen Arbeitgeber erlauben, mit dem alten über etwaige Übergriffe zu sprechen. Das soll Pädophile und Ungeeignete abschrecken, erklärt Martin Peters vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.
taz: Herr Peters, Ihr Verband möchte ein Tabuthema angehen: Sie empfehlen Kitas und Jugendeinrichtungen, mit Job-Bewerbern offen über Machtmissbrauch zusprechen. Worin genau besteht der in der Pädagogik?
Martin Peters: Es geht um physische und psychische Übergriffe. Die Schwierigkeit fängt mit Ihrer Frage an: Wie definiert man das? Wir möchten, dass sich Mitarbeiter damit befassen und darüber verständigen. Dafür haben wir eine Arbeitshilfe „Kinderschutz in Einrichtungen“ erstellt.
Gibt es einen Anlass?
Es gab in der Vergangenheit einige Verdachtsfälle. Deshalb haben wird uns gesagt, nachdem wir das Thema Kinderschutz im Elternhaus bearbeitet hatten, müssen wir uns auch um Kinderschutz in Einrichtungen kümmern. Was in den Medien bekannt wird, sind Fälle sexuellen Missbrauchs durch Erzieher. Das ist die Spitze des Eisbergs, die scheußlichste Form des Machtmissbrauchs. Es gibt aber auch unter der Wasseroberfläche Formen der Grenzüberschreitung.
Zum Beispiel?
Wenn ich ein Kind immer ausgrenze und mich nur um andere kümmere. Wenn ich Kinder rau anpacke, die sich zu langsam Jacke und Schuhe anziehen. Wenn Mitarbeiter Kinder anschreien. Oder wenn Mitarbeiter Kindern einen Kuss geben. Spätestens da ist es an der Zeit, ein Stopp zu setzen.
Was passiert dann?
Wir möchten, dass Kollegen nicht weggucken, wenn sich andere Kollegen so verhalten, sondern dies im Team ansprechen. Es geht darum, einer Betriebsblindheit zu begegnen.
Wenn etwa ein Erzieher ein Kind zusammenstaucht?
Auch das ist kein würdevoller Umgang. Klar sind das Verhaltensweisen, die Eltern im Alltag auch passieren. Aber Erzieher und Sozialpädagogen haben eine professionelle Ausbildung. Sie sollten sich Hilfe holen, bevor ihnen so eine Situation entgleitet.
53, ist Diplompädagoge und Referent für Frühe Bildung, Betreuung und Erziehung beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Hamburg.
Sie haben für Ihre Mitgliedseinrichtungen ein Papier erarbeitet. Damit sollen sie von Bewerbern regelhaft das Einverständnis abholen, mit dem früheren Arbeitgeber über Fragen des Machtmissbrauchs zu reden. Was genau erhoffen Sie sich davon?
Es geht weniger um konkrete Informationen, sondern darum, Personen mit unlauteren Absichten zu signalisieren: Hier wird ganz genau hingeschaut. Das soll Menschen mit pädophilen Neigungen abschrecken. Leider ist das polizeiliche Führungszeugnis nicht lückenlos. Dort sind nur rechtskräftige Verurteilungen vermerkt. Wir wollen diesen Personenkreis abschrecken. Aber auch die Erzieherin, die von ihrer früheren Kita gekündigt wurde, weil sie so grob mit den Kindern umgeht, würde sich überlegen, ob sie bei diesem Träger richtig aufgehoben ist.
Ist das alles nicht arg schwammig? Erzieher könnten befürchten, dass ihr Arbeitgeber alles und jedes weiter trägt.
Das haben wir diskutiert, aber der Kinderschutz ist uns wichtiger. Ein Kandidat kann im Bewerbungsgespräch auch offen sagen: Ich habe in der letzten Einrichtung aus den und den Gründen einen Leitungskonflikt gehabt. Das hatte andere Ursachen, fragen Sie besser den vorletzten Arbeitgeber. Arbeitsrechtlich ist unser Vorgehen geprüft.
Haben Sie auch mit den Gewerkschaften gesprochen?
Nein. Die Frage überrascht mich.
Führen nicht auch schlechte Arbeitsbedingungen zu Fehlverhalten?
Das wissen wir. Und wir streiten als Verband dafür, dass die Personalschlüssel in den Krippen und Kitas besser werden.
Sie setzen darauf, dass die Leitungskräfte Orientierung geben. Was ist, wenn die selbst Macht missbrauchen?
Es gibt Machtmissbrauch auf Leitungsebene. Das passiert aber selten. In diesem Fall meldet der Erzieher den Vorgang eine Ebene höher: an den Träger. Das ist in unserem Konzept eingebaut. Es enthält eine Reihe von Bausteinen, auch zum Missbrauch unter Kindern. Sehr wichtig ist die Fortbildung zum Thema.
Geht die Initiative von Hamburg aus?
Ja. Unser Landesverband ist in Sachen Kinderschutz seit Jahren weit vorn. Wir gehen davon aus, dass unser Konzept vom Paritätischen Gesamtverband in Berlin übernommen wird.
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