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Marokkos Monarch sieht grün

Islamistische Studenten, die im Reich von König Hassan II. gegen überfüllte Studentenwohnheime und klapprige Uni-Busse protestieren, werden in Eilverfahren als Staatsfeinde verurteilt  ■ Von Reiner Wandler

Madrid (taz) – Die „Bedrohung von Beamten und Zerstörung einer Mauer“ waren Vorwurf genug, um drei marokkanische Studentenvertreter in Rekordzeit hinter Gitter zu bringen. Am 6. Januar waren die Mitglieder der Nationalen Gewerkschaft der Studenten Marokkos (Unem) während einer Demonstration in Casablanca verhaftet worden, Anfang letzter Woche fielen die Urteile: Einer der Studentenvertreter bekam zwei Jahre Haft, die anderen beiden jeweils ein Jahr. Bei 26 ihrer Kommilitonen, die zum Prozeßauftakt vor dem Gerichtssaal protestiert hatten, legte die Justiz noch größere Eile an den Tag: Montag wurden sie zu je drei Monaten Haft verurteilt. Ihr Vergehen: „Verunglimpfung der Autorität.“

Die angehenden Akademiker hatten Anfang des Jahres mit einem zweiwöchigen Uni-Streik gegen die „rollenden Wracks, die sich Schulbusse nennen“ und für bessere Bedingungen in den Studentenwohnheimen protestiert. Ein banaler Konflikt, der eigentlich mit Gesprächen hätte beigelegt werden können. Doch die Studentenführer hatten das falsche Parteibuch. Die meisten von ihnen gehören der verbotenen islamistischen Gruppe al-Adl wa al-Ihssane (Gerechtigkeit und Mildtätigkeit) an, die in der Unem von Casablanca die Mehrheit bildet. Für Innenminister Driss Basri wurde der Streik so zur Grundsatzfrage – zeigte er doch, wie tief die Islamisten mittlerweile in der marokkanischen Gesellschaft verankert sind.

Eiligst wurden die Dozenten der wichtigsten Fakultäten des Landes, Provinzgouverneure und Polizeipräfekte einberufen. Mit Innenminister Driss Basri und Erziehungsminister Driss Khalil verständigten sie sich auf Maßnahmen zur „Überwachung der internen Ordnung und Sicherheit der Universitäten“. Ein Dialog sei wegen „fehlender repräsentativer Studentenorganisationen“ nicht möglich, bedauerte Khalil. Die Unem wurde im offiziellen Sprachgebrauch zu „einer Reihe zweifelhafter extremistischer Gruppen“, die Polizei löste die Demonstrationen gewaltsam auf. Die „Awaks“, wie Studenten die uniformierten Wächter an den Unis nennen, wurden verstärkt.

„Die Regierung benutzt die Vorfälle, um die Studentenverbände und vor allem die islamische Bewegung zu zerschlagen“, beklagt der Anwalt der abgeurteilten Studenten. Eine Bewegung mit einer halben Million Anhänger werde kriminalisiert.

Die islamistische Bewegung gewinnt in Marokko vor allem an den Universitäten Zulauf. Seit dem Zerfall der marxistischen Gruppen artikulieren sich soziale Proteste zunehmend religiös. 70 Prozent der marokkanischen Bevölkerung ist jünger als 30 Jahre. Jährlich drängen 250.000 neue Arbeitskräfte auf den Markt. Die meisten Akademiker reihen sich nach dem Studium in das Heer der Arbeitslosen ein. Durch Engagement für bedürftige Familien gewinnen die islamistischen Aktivisten auch über das studentische Milieu hinaus Sympathisanten.

Das Regime geht mit Härte gegen die Islamisten vor. König Hassan II., der sich als weltliches und geistliches Oberhaupt Marokkos verehren läßt, stellte bisher alles, was nur im entferntesten mit Islamismus zu tun hatte, als importiertes Problem dar. Egal, ob es sich um die erst kürzlich in Frankreich und Marokko abgeurteilten Attentäter handelt, die im Sommer 1994 in einem Hotel in Marrakesch zwei spanische Urlauber erschossen, oder um friedlich protestierende Studenten. 1989 verhängte die Justiz über den Führer von al-Adl wa al-Ihssane, den 68 jährigen Scheich Abdessalam Jassine, unbegrenzten Hausarrest. Weil die Studenten in Casablanca am Jahrestag dieser Repressalie auf die Straßen gingen, unterstellen ihnen die Behörden, ihre Proteste seien eine Solidaritätsbekundung für den Islamistenführer. Die Folgen dieser „Analyse“ bekamen die Verhafteten am eigenen Leib zu spüren: Folter und Mißhandlungen.

Wegen des Fehlens der „notwendigen Bedingungen für die Gewerkschaftsarbeit“ hat die Unem in Casablanca ihre Anhänger erst einmal zurück in die Hörsäle gerufen. Die von der Regierung angekündigte „Sicherheitskampagne gegen die fundamentalistischen Grüppchen“ hat mittlerweile auch andere Städte erreicht. Vergangenen Samstag standen in Marrakesch 14 islamistische Studenten vor Gericht, „wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung“. Sie hatten die neuen Awak-Einheiten an der Rechtsfakultät mit Steinen empfangen. Am gleichen Tag wurden ebenfalls in Marrakesch neun weitere Studenten verhaftet sowie drei in Rachidia. König Hassan II. möchte in einem der entscheidendsten Momente seiner Amtszeit jedwedes Konfliktpotential an den Universitäten ausschalten. Dieses Jahr stehen Kommunal- und Parlamentswahlen an. Erstmals wird dabei dem Oppositionsbündnis Koutla, das von der nationalistischen Istiqlal-Partei und der sozialdemokratischen USFP getragen wird, der Wahlsieg vorhergesagt. Eine Tatsache, die der Monarch als politische Öffnung ausschlachten will. Studentenproteste passen da nicht in das Bild.

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