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■ ÖkolumneMarlboro und San Gennaro Von Werner Raith

So richtig gut scheint der Heilige Januarius auf seine Neapolitaner schon geraume Zeit nicht mehr zu sprechen zu sein. Seit Jahren schon verflüssigt sich das Blut des neapolitanischen Stadtpatrons, einem Märtyrer aus dem 4. Jahrhundert, nicht wie gewohnt dreimal im Jahr – und das wirkt sich aus: Zuerst geriet die Fußballmannschaft, noch vor vier Jahren auf dem Weg zur Meisterschaft, nicht nur in die Abstiegszone, sondern muß nun wohl Bankrott anmelden; dann färbte sich das Trinkwasser braungelb, und nun auch noch das: Ein Regierungsdekret aus Rom stellt urplötzlich den illegalen Zigarettenhandel, ein traditionelles Stück Folklore auf den Straßen der süditalienischen Metropole, unter harte Strafen. Bis zu zwei Jahre riskiert, wer weiter dem Verkauf geschmuggelter Marlboro- oder Stuyvesant-Stangen nachgeht. Dem Käufer drohen Strafen bis zu umgerechnet tausend Mark oder ein Monat Knast.

Es stimmt ja: Italiens, speziell Unteritaliens Nikotinabhängige greifen fast ausschließlich zum geschmuggelten Kraut – viele Tabakläden verkaufen allenfalls Pfeifen und Feuerzeuge, aber kaum Zigaretten. Deren Verkauf ist Domäne der oft gerade mal sechs oder acht Jahre alten Bürschchen, die an nahezu allen Kreuzungen, am Bahnhof und am Hafen, vor und notfalls gar in Kirchen ihre „Esteri“, die Ausländischen, verhökern. Der Grund: Tabak ist in Italien noch immer Staatsmonopol, und zum Schutz fürs heimische Gewächs – zu Glimmstengeln mit dem anspruchsvollen Namen „Nazionali“ verarbeitet – legt der Fiskus einen saftigen Zoll auf importierte Konkurrenzprodukte. Das verteuert deren Preise um bis zu dreißig Prozent und verschafft den Schmuggelgut-Verkäufern eine anständige Gewinnmarge. Zudem schmecken die „Nazionali“ seit jeher niemandem und fallen schon beim Anzünden auseinander. So raucht der brave Italiener seine heimische Marke nur im größten Notfall, wie etwa vor zwei Jahren, als der Finanzminister einige amerikanische Zigaretten für zweimal einen Monat völlig verbot. Denn nach seinen Erkenntnissen hatten US-Konzerne – darunter Philip Morris – den Schmuggel in die eigene Hand genommen und sogar die bodenständigen Banden mit Gangstereinsätzen ausgeschaltet. Das Vorgehen gegen die US-Schmuggler war damals von der neapolitanischen Camorra nicht ungern gesehen worden, bekam sie doch auf diese Weise wieder Oberwasser: Die Konzerne wurden erneut vom Know-how der heimischen Schmuggelbanden abhängig.

Doch nun das: Seit Mitte der Woche gilt das neue furchterregende Antischmuggelgesetz. Die Straßenverkäufer reagierten unverzüglich – sie traten in einen Streik. Nun könnte man meinen, damit sei doch erreicht, was die Regierung wollte. Ein glatter Irrtum: Schon nach wenigen Stunden versammelte sich eine schreiende Menge vor dem Rathaus und forderte die sofortige Aufhebung der Maßnahme. Einige Personen wurden festgenommen. Die Polizei mußte feststellen, daß da vor allem Käufer, nicht Verkäufer, ihrem Unmut Luft machten. Dennoch ist die Lage auch für die Verkäufer überaus ernst. Mehr als achttausend Familien – und das heißt in Neapel an die hunderttausend Personen – sind nach Erkenntnissen der Antimafiakommission direkt vom illegalen Tabakhandel abhängig, sei es als selbständige Schmuggler, sei es als flankierende Camorra-Kumpane.

Der eben gewählte Bürgermeister Bassolino ist denn auch trotz unzweifelhaft rechtsstaatlicher Einstellung ganz und gar nicht glücklich, daß „das ausgerechnet jetzt kommt“, wo die Arbeitslosigkeit im Süden sowieso bereits über zwanzig, in einigen Voror-Foto: Isabell Lott

ten gar bis zu 60 Prozent erreicht. „Die Gefahr ist groß, daß viele der harmlosen Schmuggler nun gezwungen sind, in andere Geschäfte – und da bleibt im wesentlichen nur die Gewalt- und die Drogenkriminalität – auszuweichen.“ Besserung ist nicht in Sicht. Die Regierung will hart bleiben. „Bleibt“, wie ein verzweifelter Vater, dessen gesamter Anhang vom Schmuggel lebte, in die Fernsehkameras hineinweinte, „nur noch, auf ein Wunder zu hoffen. San Gennaro, hilf.“ Vielleicht hat er ja was für Raucher übrig, der Heilige Januarius.

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