Marie Meimberg über 10 Jahre YouTube: „Die Nähe nicht ausnutzen“
Zehn Jahre YouTube: Marie Meimberg ist von Anfang an dabei. Ein Gespräch über aufdringliche Fans, Werbung und Liebe für alle.
taz: Frau Meimberg, was sind für Sie Freunde?
Marie Meimberg: Freunde sind für mich Menschen, bei denen ich sein kann, wie ich bin, und mich auch nicht erklären muss. Es sind Menschen, die mich so gut kennen, dass es manchmal schon unangenehm ist, weil man etwas von sich preisgibt, das man vielleicht gar nicht so gerne preisgeben würde.
Wie bezeichnen Sie die Menschen, die Ihre Videos ansehen?
Im Moment fühle ich mich am wohlsten mit dem Wort Community. Denn es ist ja eine spezielle Beziehung – ganz anders zum Beispiel als die Beziehung, die ich als Musikerin auf der Bühne zu meinem Live-Publikum habe. In der Community kenne ich manche mit Namen, habe sie getroffen oder weiß, dass jemand Probleme in Mathe hat.
Sie haben in einem Video den Nutzern gesagt „Ich bin nicht eure Freundin“. Woran merken Sie, dass es Zuschauern manchmal schwerfällt, diese Grenze zu erkennen?
Ich habe bei großen YouTubern beobachtet, dass da häufig die Distanz fehlt. Bei den Jungs von der Longboardtour etwa, deren Fans vor den Hotels gecampt haben. Die wurden regelrecht belagert. Da dachte ich: Wo führt das hin? Müssen die irgendwann die Polizei rufen, weil sie von ihrer Community so bedrängt werden? Es ist eine ähnliche Situation wie mit einem sehr guten Freund, bei dem man auf einmal merkt: Der ist in mich verliebt. Da sollte man klare Verhältnisse schaffen.
Und das wollten Sie erledigen, bevor jemand vor Ihrem Hotelzimmer steht?
Genau.
Die YouTuberin Marie Meimberg, 31, arbeitet als Webvideoproduzentin, Autorin, Sängerin und Producerin. Sie ist erste Präsidentin der Webvideopreis-„Academy“ und Vorsitzende des Vereins 301+, in dem sich YouTuber unabhängig von Netzwerken organisieren wollen. Ihr YouTube-Kanal hat derzeit 36.330 Abonnenten.
Aber eine Nähe schaffen Sie doch bewusst. In Ihren Videos geht es – genau wie bei vielen anderen YouTubern – um sehr persönliche Themen. Liebe, Tod. Sie filmen in Ihrer Wohnung, das ist schon etwas anderes als das Tagesschau-Studio-Ambiente.
Umso wichtiger ist es, Regeln zu verhandeln. Gerade weil man sich so gut kennt. Und gerade weil die Kombination aus Nähe und gleichzeitig Tausenden von Abonnenten eine sehr spezielle Beziehung schafft, wie es sie eben früher nicht gab.
Sie sind schon fast so lange auf YouTube aktiv, wie es die Seite gibt. Was war damals anders?
YouTube war für mich damals einfach nur ein Ort von vielen, auf dem ich kreative Dinge, eben Videos, platzieren konnte. Ohne die heutige Kanalstruktur. Ein bewusstes Arbeiten mit der Plattform, so wie heute, war das bei mir nicht, mehr ein Entdecken. Mal schauen, was so geht.
Empfohlener externer Inhalt
Geht die Entwicklung seitdem in eine gute oder eine schlechte Richtung?
Beides. YouTube muss gerade aufpassen, dass auch noch vielseitige spannende Inhalte stattfinden. Einige wirklich tolle Inhalte auf der Plattform funktionieren, weil sie in ihrer Beschaffenheit mit dem Algorithmus verzahnt sind. Für andere tolle Dinge ist genau dieser Algorithmus schwierig.
Zum Beispiel?
Der Algorithmus bewertet es positiv, wenn regelmäßig Videos hochgeladen werden. Ein Künstler, der sich also Zeit lässt, nachdenkt, viel Aufwand in die Produktion steckt und nur selten ein Video postet, landet in den Trefferlisten auf der Plattform immer weiter unten. Aber man möchte natürlich wahrgenommen werden. Und das führt dazu, dass Leute, die entsprechende Inhalte machen, sich langsam nach anderen Orten umsehen.
Welchen?
Facebook oder Twitter. Ich habe das Glück, dass ich mit YouTube nicht meinen Kühlschrank füllen muss, daher kann ich mir auch Zeit lassen mit dem nächsten Video. Aber für andere baut so ein Algorithmus Druck auf.
Geld ist gerade ein großes Thema: wer wie viel verdient, ob Netzwerke – eine Art Agenturen hinter vielen großen YouTubern – gut oder böse sind. Hört bei Geld denn dann die Freundschaft auf?
Das nicht. Aber in Frankreich gibt es ein Sprichwort: Geklärte Konten machen eine gute Freundschaft. Und genauso ist es hier: Früher hat man mit anderen YouTubern einfach mal Sachen miteinander gemacht. Und jetzt sind da auf einmal Geld und Verträge. Dann muss man bei einer Zusammenarbeit vorab klare Verhältnisse schaffen. Aber es gibt noch viel mehr Themen als das Geld, zum Beispiel die Frage: Wann mache ich Feierabend? Wie passe ich auf mich auf? Es ist auch nicht gut, wenn permanent die Kamera läuft.
Seinen Werbeumsatz soll YouTube im vergangenen Jahr um 60 Prozent auf 3 Milliarden US-Dollar gesteigert haben.
Genau. Und mit dem Geld wird das Medium auf einmal ernst genommen. Zum Beispiel als Flo, also Florian Mundt, vor ein paar Monaten bekannt machte, dass er bei Mediakraft …
… einem der Netzwerke, die hinter der Vermarktung einiger YouTuber stehen und an Werbeeinnahmen beteiligt werden …
… gekündigt hat. Das hätte vor zwei Jahren nicht annähernd so eine große Aufmerksamkeit bekommen wie jetzt. Es stimmt schon, im Vergleich mit anderen Berufsgruppen geht es uns gut. Im Fokus stehen zwar die Menschen vor der Kamera, aber um sie herum entsteht eine komplette Branche mit Menschen, die daran verdienen, Videos schneiden, managen, Events organisieren.
Und Sie waren Teil dieser neuen Branche, als Sie bei Mediakraft gearbeitet haben.
Genau. Als eine Art Mädchen für alles. Eine Mischung als Autor, Manager, Künstlerbetreuer, Büroleitung und noch viel mehr.
Trotzdem haben Sie einen Verein mitgegründet und sind jetzt Vorsitzende, der die „guten alten Dinge“ bei YouTube bewahren will.
Ich finde, das muss kein Widerspruch sein. Als YouTube entstand, gab es noch gar keine Möglichkeit, damit Geld zu verdienen. Seitdem haben sich Dinge verändert. Einige so, dass der Kühlschrank nun voll ist. Das ist toll. Andere jedoch auch. Und manches könnte man wiederherstellen – und der Kühlschrank bliebe trotzdem voll.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel die Kommunikation unter den YouTubern. Früher hat man sich einfach mal untereinander angeschrieben. Heute erwarten viele, dass Kommunikation über das Netzwerk läuft. Das klingt banal, aber so geht einfach ein Stück Gemeinschaft verloren. Die findet sich aber derzeit wieder. Gerade durch Veranstaltungen, auf denen man sich persönlich trifft.
Es war also eine Hierarchie entstanden?
Nicht unbedingt. Dazu ist das alles zu heterogen. Es gibt ja nicht das Netzwerk, oder den YouTuber, das sind ja Kreative und Künstler, ganz unterschiedliche Menschen.
Alles nur Künstler? Nicht auch knallharte Geschäftsmenschen?
Ja, da sind auch Leute, die sind sich selbst wichtiger als der Inhalt, den sie erschaffen. Es ist ein bisschen wie bei Musikern: Es gibt gecastete Retortenbands, da geht es um Geld. Und es gibt den Garagenmusiker, der macht es fürs Herz und vielleicht wird er mal berühmt. Und da sind wir wieder bei Nähe: Genauso wie Fans haben auch YouTuber eine Verantwortung, diese Nähe nicht auszunutzen. Wenn beispielsweise ein Tweet „Ich liebe euch alle“ gefolgt wird von einer Aufforderung, ein Produkt zu kaufen, ist das für mich problematisch.
Product-Placement, Kooperationen, Werbung, Gewinnspiele – es gibt viele Interessen, die Unternehmen auf der Plattform verfolgen.
Ja, und da gibt es einiges an Regelungsbedarf. Es ist zum Beispiel ein Unterschied, ob jemand eine elektrische Zahnbürste bekommt und die dann in die Kamera hält oder dafür bezahlt wird, ein Video über diese Zahnbürste zu machen. Da brauchen wir klare Kennzeichnungsvorschriften, damit es für die Nutzer transparent ist.
Was würde sich für Sie ändern, wenn Sie von YouTube-Einnahmen leben müssten?
Ich würde es nicht machen. Ich würde eher kellnern gehen.
Warum?
Weil meine Art, kreativen Inhalt zu machen, sich auf YouTube nicht in Geld auszahlt. Meine Garagenmusik funktioniert da schlichtweg nicht. Daher verdiene ich mein Geld lieber anders, als mich zu verbiegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles