Margarine oder Butter: Streitsache Fett
Ob gesättigte Fettsäuren das Herzinfarktrisiko erhöhen, ist nicht eindeutig geklärt. Margarine-Produzenten informieren dennoch über "gutes" und "schlechtes" Fett.
Finnland hatte in den 1970er-Jahren die höchste Herzinfarktrate der Welt. Dagegen wollte die finnische Regierung etwas unternehmen. Im Rahmen einer groß angelegten Präventionskampagne in der Region North-Karelia wurden die Menschen geschult, etwas für ihre Gesundheit zu tun. Dazu zählte das Rauchen aufzugeben und die Ernährung umzustellen. Man setzte auf Margarine statt Butter, überhaupt auf weniger Fett, auf mehr Obst und Gemüse sowie weniger Salz. So verwendeten vor der Kampagne 95 Prozent der Finnen Butter als Brotbelag, heute sind es 5 Prozent. Die North-Karelia-Studie gilt als Nonplusultra einer erfolgreichen Prävention. Es gab weniger Raucher, Cholesterinwerte und Blutdruck sanken, insgesamt starben 47 Prozent der North Karelianer seltener an Herzkrankheiten. Das sei vor allem dem Verzicht auf tierische Fette geschuldet, so resümiert etwa der Forscher Pekka Puska vom finnischen National Institute for Health and Welfare.
Doch auch in der Vergleichsregion Kuopio sank die Herzinfarktrate, obwohl Blutdruck, Cholesterinwerte, Rauch- und Ernährungsgewohnheiten unverändert blieben. "Warum das so ist, ist bis heute Spekulation oder wird schlichtweg nicht diskutiert", moniert Nicolai Worm, Ernährungswissenschaftler und Buchautor. Stattdessen werde immer wieder suggeriert, dass die Sache unstrittig sei. So lauten die gängigen Empfehlungen: Die "schlechten" gesättigten Fette, die sich in Fleisch, Wurst, Milch, Sahne und Butter tummeln, seien zu meiden. Dagegen hätten Pflanzenöle und die darin enthaltenen ungesättigten Fettsäuren sowie Fisch Herzschutzpotenzial. Auch im Februar vergangenen Jahres kamen Experten aus verschiedenen Fachgesellschaften unter Leitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) zu eben diesem Schluss.
Die Sache ist jedoch keineswegs eindeutig. So lassen zwei aktuelle Studien Zweifel daran, dass die Art des konsumierten Fettes einen großen Einfluss auf das Herzinfarktrisiko hat. Andrew Mente, Epidemiologe am kanadischen Population Health Research Institute, hat knapp 200 Studien zum Thema Ernährungsfaktoren und Herzgesundheit ausgewertet. Sein Ergebnis: Gemüse, Nüsse und einfach ungesättigte Fettsäuren (Olivenöl) sowie eine mediterrane Ernährung schützen das Herz, wohingegen Transfettsäuren (etwa in Pommes enthalten) und ein Zuviel an Lebensmitteln mit hohem glykämischen Index wie Kartoffeln, Weißbrot, Reis, Nudeln sowie ein westlicher Ernährungsstil mit viel Fleisch, Wurst, Käse und Weißmehlprodukten dem Herzen schaden. Es gab keinen Zusammenhang zwischen der Menge an gesättigten Fetten oder mehrfach ungesättigten Fettsäuren.
Und erst kürzlich hat Patty Siri-Tarino vom Childrens Hospital Oakland Research Institute den Einfluss von gesättigten Fettsäuren auf das Herzinfarktrisiko überprüft. Auch ihre Daten legen nahe, dass es für die Herzgesundheit möglicherweise egal ist, welches Fett man bevorzugt.
Sogar in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) "Fettkonsum und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten" aus dem Jahr 2006 steht geschrieben: "Für die Senkung von kurzkettigen (also gesättigten Fettsäuren) ist der Nachweis der Wirksamkeit (für das Herzinfarktrisiko) nicht ganz konsistent."
Umso verwunderlicher also, dass der DGEM-Konsens das gesättigte Fett für schädlich hält. Helmut Heseker von der DGE und Ernährungswissenschaftler an der Universität Paderborn beteuert jedoch: "Die Stellungnahme ist wissenschaftlich begründet, evidenzbasiert, fachlich und sachlich richtig."
Metastudien hält er zwar für hilfreich, trotzdem hätten sie Nachteile: "Auf der zellulären oder biochemischen Ebene gewonnene Studienergebnisse bleiben in rein statistischen Auswertungen unberücksichtigt. Weiter ist die Auswahl der Studien, die in eine Metaanalyse einfließen, oft problematisch und kann Gegenstand einer gezielten Manipulation sein." So zeigten etwa kleinere, gut kontrollierte Studien, in denen gesättigte Fette gegen ungesättigte ausgetauscht wurden, positive Folgen für das Herzkrankheitsrisiko.
Der Streit, ob wir uns besser Butter oder Margarine aufs Brot schmieren sollen, ist bald 50 Jahre alt. Zur Verwirrung hat die Lobbyarbeit der Margarine- und Milch-/Fleischindustrie kräftig beigesteuert. Zahlreiche Studien wurden etwa von Unilever, Hersteller von Rama, Lätta und Becel, gesponsort oder kamen sogar direkt aus der Unilever-Forschungsabteilung.
Der niederländische Großkonzern finanzierte auch das DGEM-Treffen. "Das ist nicht ehrenrührig, wenn im Rahmen von Private Public Partnerships derart wichtige Gesundheitsinformationen den VerbraucherInnen bekannt gemacht werden", meint Heseker. Zeitgleich mit dem Meeting startete jedoch die Unilever-Margarinen-Sparte eine breit angelegte Aufklärungskampagne. "Wir möchten mit konkreter Wissensvermittlung widersprüchliche Botschaften und Mythen rund um Fette und Margarine auflösen", so Anika Hänel, PR-Frau von Unilever.
Aber auch die Gegenseite schläft nicht. So erhielten andere Wissenschaftler, die zu dem Thema publizierten, Geld etwa vom National Dairy Council, dem US-amerikanischen Verband der Milchbauern oder Fonterra einem Milchmulti mit Sitz in Neuseeland.
Auch Nikolai Worm, Ernährungswissenschaftler und Buchautor, der die Fachgesellschaften immer wieder scharf kritisiert, wird als Quertreiber und Fleisch-Lobbyist tituliert. Tatsächlich hat Worm jahrelang für die CMA, also für die Milch- und Fleischindustrie Artikel verfasst. Auch die von ihm entwickelte Logi-Diät ist nichts für Vegetarier.
Trotzdem gibt es auch unabhängige Wissenschaftler, die die Story vom gesättigten, "bösen" Fett bezweifeln. "Die Beweise sind schwach, dass gesättigtes Fett tatsächlich für sich genommen Herzkrankheiten verursacht", meint etwa der Kanadier Mente. Bis man genügend Studien habe, sollte man sich auch in Sachen Fett ausgewogen ernähren, rät der Epidemiologe, der seine Studie ausschließlich aus öffentlichen Mitteln finanzierte.
Dieser gute Rat ist teuer, denn mehr als die Hälfte der Verbraucher ist in Sachen gesunde Ernährung verwirrt, zeigt eine aktuelle Studie, bei der man in 16 Ländern über 6.000 Menschen befragte. Jeder Zweite glaubt zudem, man sollte jegliches Fett meiden - schließlich hat man das jahrelang gepredigt. Mittlerweile ist jedoch unbestritten, dass fettarmes Essen, zumal wenn der Verzicht mit mehr Kohlenhydraten wettgemacht wird, weder schlank macht noch sonst wie der Gesundheit nützt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen