Marc Degens fiktive Bücher: Blüten eines bescheuerten Geschäfts
Der Kolumnist Marc Degens schreibt über Bücher, die es gar nicht gibt und nimmt so den Literaturbetrieb aus Korn. "Unsere Popmoderne" ist ein Best-of seiner Texte.
Der Großmeister des Genres "Erfundene Literatur" war natürlich Jorge Luis Borges. Man denke etwa an Pierre Menard, den Autor des "Quijote", oder an das Werk von Herbert Quain, an Nils Runeberg und an Silas Haslam. Der Schritt von der fiktionalen Literatur zu fiktiven Büchern und ganzen Lebenswerken ist klein. Und die Bereitschaft des Publikums, diese nicht existenten Bücher zu lesen, ist groß.
Diese Erfahrung hat jedenfalls die Literaturredaktion der FAZ gemacht, als Marc Degens zwei Jahre lang eine Kolumne schrieb, in der er Bücher und ihre Autoren vorstellte. Auch wenn es weder diese Bücher noch ihre Autoren gab, kamen doch Anfragen von ratlosen Buchhändlern, und es ist anzunehmen, dass diese wiederum von Kunden gefragt worden waren, die die FAZ gelesen hatten. Heute schreibt Degens seine Kolumne bei der Literaturzeitschrift Volltext fort.
Wer wissen will, wie der Literaturbetrieb funktioniert, kann auf eine ganze Reihe von Standardwerken, regelrechte Handbücher zurückgreifen und dazu auf eine Vielzahl von wissenschaftlichen Aufsätzen. Er kann nun aber auch einfach Marc Degens Buch "Unsere Popmoderne" lesen, das nicht bloße Satire ist, sondern die Mechanismen des Betriebs - und die köstlichen Blüten, die er treibt - quasi Schicht für Schicht einer Feinanalyse unterzieht. Auf 158 Seiten wird da ein repräsentativer Querschnitt, ein Best-of von Degens Kolumnen präsentiert, oder, wie es in der editorischen Notiz am Ende heißt: "34 Schlüsselstellen und Romananfänge von 35 Autoren aus 16 Ländern. Und Marc Degens hat sie alle gelesen. Und geschrieben!"
Und das hat er virtuos gemacht. Die Persiflage läuft sich ja leicht tot und tappt oft genug in die selbst gestellte Falle. Dann macht sich gepflegte Langeweile breit, ein Phänomen, das man vom Kabarett kennt. Aber es ist auch gar nicht angemessen, bei Degens Stücken von Persiflage zu sprechen. Es sind regelrechte Pastiches (Achtung: Proust!), die dem Genre und der jeweiligen Nische des Betriebs, die sie ins Visier nehmen, "mimetisch sich anverwandeln" (Adorno!).
Vierunddreißigmal an einem anderen Buch zu schreiben, einen anderen Sound zu erzeugen, ohne dass es ermüdend wirkt, und ebenso oft Angaben zum Autor und zu seiner Positionierung im Literaturbetrieb zu machen, das muss man können. Nicht immer ist das so einfach wie bei Gregor Hofmann: "Es ist ein schöner Herbstabend, am Horizont noch immer herztrauriges Licht. Ich will woanders hin.
Ich dichte mir keinen Glauben nach. du kannst alles machen sagte sie später und da ich wusste dass sie recht hatte nahm ich mir die freiheit…" Das Rätsel dieser Satzfolge enthüllt sich in Degens Angaben zum Autor: "Ebenso wie in seinem Gedichtband ,Scrabble' (Wien 1999) benutzt der Berner Schriftsteller Gregor Hofmann in seinem neuen Erzählband ,Das Ende der Tonalität' die Technik des ,literarischen Samplings' und komponiert durchweg aus Fremdzitaten ein eigenständiges Werk.
Als Ordnungsprinzip seines Textes dienten ihm dabei die Geburtsjahre der zitierten Autoren, und im Anhang dieses Buches wird jedes Zitat ausgeführt und belegt." Das ist immerhin korrekter, könnte man sagen, als Helene Hegemanns Sampling von Airens "Strobo". Wer sich nicht mehr erinnern kann: Das war vor einem Jahr, und Degens als Airens Verleger war direkt betroffen. (Nebenher: Gregor Hofmanns Text ist großartig.)
Seine vorgestellten Autoren und ihre wahnwitzigen Bücher sind allerdings keine bloßen Abziehbilder des real existierenden Literaturbetriebs, sondern bringen ihn auf den Begriff. Zwar könnte hier und da ein alter Bekannter winken, wie etwa Michael Marquardt, der 1991 mit "rasen" ein "Kultbuch der noch jungen deutschen Technoszene" schrieb. In seinem dritten Roman wird weiter gerast: "alles tanzt, groovt. ein raum, ein körper. we are one nation." "Marquardt, Jahrgang 1962", erklärt uns Degens, "will mit seinem Angestellten- und Technoroman gegen den Jugendlichkeitswahn der Gesellschaft und die Kommerzialisierung der Szene anschreiben."
Das wiederum dürfte dem "inzwischen zwanzigjährigen" Alexander Fellhauer, Verfasser des Kurzromans "Sternenflüchtig" und Mitbewerber um den Bachmann-Preis, weniger gefallen. Der erzählt "von seinem fluchtartigen Verschwinden nach dem Abitur, seiner Liebesaffäre mit einer alleinerziehenden, arbeitslosen Grafikdesignerin aus Prenzlau und seinen Erfahrungen in der rechtsradikalen Szene in der Uckermark". Das muss man natürlich lesen, und es ist doch ein gutes Zeichen, dass die FAZ-Leser, die Degens Kolumnen gelesen haben, nach den dort vorgestellten Büchern gefragt haben. Man sieht also: Das Buch wird nicht sterben.
Degens Buch darf übrigens durchaus auch als Paraphrase auf seinen vor zwei Jahren erschienenen Roman "Hier keine Kunst" gelesen werden, der ebenfalls den Kulturbetrieb beschreibt, am Beispiel eines doch eher erfolglosen jungen Mannes, der gern Schriftsteller werden möchte. Das ist hochkomisch und endet tieftraurig: "Alles ist aus. Mein Traum vom Schreiben. Meine Karriere als Schriftsteller und Künstler. Dieser Roman. Wäre ich doch Verbrecher geworden. Es hat alles keinen Sinn mehr. Meine Arbeit, mein Schreiben, dieses Buch. Ich gebe auf."
Das wollen wir wirklich nicht hoffen. Denn wenn Marc Degens hunderttausend Leser hätte, dann würde der Literaturbetrieb zwischendurch wenigstens einmal erröten und wäre nicht mehr ganz so bescheuert.
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